Nina und ihre Mädels
Sie heißen Helene, Hilde, Paula, Catharine, Dorothea, Anni und Ursula. Genauso wie die Schiffe der Reederei Bertling, die 1865 in Lübeck gegründet wurde. Heute sind jedoch weder Schiffe noch Damen Trägerinnen dieser Namen, so heißen jetzt die Zimmer im neuen Hotel Garni „Die Reederin“ in der Großen Altefähre 23. In unmittelbarer Nähe zum Hafen hatte die Traditionsreederei ihren Sitz. Über 150 Jahre wurde in den Kontoren mit ihren wuchtigen Schränken und schweren Safes gearbeitet bis die Reederei ihren Sitz nach Hamburg verlegte. Es verblieb ein leerstehendes historisches Gebäude in perfekter Lage in Lübecks Seefahrerviertel. Einfach ein Schatz, den Nina Dietze heben musste, um ihren Traum wahrzumachen – den Traum eines eigenen Hotels, das ihre Handschrift als einfühlsame und warmherzige Gastgeberin trägt und ab Mitte Januar endlich seine ersten Gäste empfängt.
Zwischen Zuckerspeicher und Hoteltraum
Nach dem Abitur war für Nina Dietze klar, dass sie zunächst eine Ausbildung zur Restaurantfachfrau absolvieren würde. Die Branche passte, aber da ging noch mehr und die Erweiterung des Fachwissens war das nächste anvisierte Ziel. Ninas Wahl fiel auf das Studienfach Hotelmanagement. Beruflich entwickelte sich daraus ein Fokus im Veranstaltungsmanagement und Verkauf. Reservierungen und Gruppenbuchungen waren ihr täglich Brot.
Seit 2012 lebt Nina Dietze mit ihrer Familie im ehemaligen Zuckerspeicher in der Engelswisch. Der Wunsch, ein eigenes Hotel zu betreiben, in dem sie ihren Gästen einen unvergesslichen Aufenthalt in Lübeck ermöglichen kann, reifte eher langsam in ihr heran. Der Zufall wollte es, dass das Gebäude in der Großen Altefähre nach dem Auszug der Reederei Bertling leer stand und die beiden Grundstücke zudem noch aneinandergrenzen. Der Nachwuchs war inzwischen schon fast aus dem Gröbsten heraus. Worauf also noch warten? Die Zeit für die Verwirklichung des Hoteltraums war gekommen.
Maritimes Ambiente in nachtblau und oxydrot
Für die Raumgestaltung des nahe der Trave gelegenen Hauses hat Nina Dietze eine inspirierende Neuinterpretation des maritimen Stils entwickelt. Tonangebend sind die Farbnuancen nachtblau und oxydrot. Die Räume strahlen eine zurückhaltende Wärme aus, was vor allem auch dadurch gelingt, dass sich die Geschichte des Hauses und seiner Besitzer und Besucher weiter entfalten darf: Gekonnt mixt die Inhaberin historisches Mobiliar und Fundstücke aus den Kontoren der Reederei wie historische Schranktüren – nun umgearbeitet zu Kopfteilen für die Betten – mit liebevoll ausgesuchten Möbeln. Da sind zum Beispiel die Nachtschränkchen, die sie auf Loppis in Schweden erstanden hat oder kleine Stühle, die aus einer Versteigerung in Dänemark stammen, und die sie selbst neu bezogen hat.
In die COCO-MAT-Naturbetten möchte man sich einfach sofort reinfallen lassen, zumal keine Tagesdecke oder Dekokissen beiseite geräumt werden müssen. Moderne Akzente wie die kleinen Container, die als Kofferablage dienen, und stylische Tischchen und Hocker lockern die Atmosphäre auf.
Eine besondere Überraschung bieten die Bäder – ebenfalls mit einem Bezug zum Thema Hafen und Schifffahrt: zerschnittene und neu beschichtete Containertüren und -seitenwände dienen als Raumteiler zur Walk-In-Dusche und zur Anbringung der Hängewaschbecken. Es brauchte ein paar sehr starke Männer zum Hochtragen der Containerteile, verrät Nina Dietze mit einem Schmunzeln.
Zuhause auf Zeit
Nina Dietze führt mich durch „Die Reederin“ und kommt aus dem Geschichtenerzählen nicht mehr raus. Da sind die historischen Treppengeländer und Stiegen, an manchen Stellen noch die ehemaligen Bodenfliesen und die Türen mit Bleiglasfenstern, die z.B. auch Willy Brandt nutzte, der hier damals noch als Ernst Frahm seine Ausbildung zum Schiffsmakler absolvierte. Eine führte zum Kassenraum, wo über Jahrzehnte Mark, Rentenmark, Reichsmark, DM und zuletzt Euro von Hand zu Hand gingen. Ein in eine Wand eingelassenes Waschbecken im Flur erinnert an die Kapitäne, die sich direkt vom Schiff kommend hier noch mal schnell die schmutzigen Hände wuschen bevor sie im Kontor mit den Reedereivertretern zusammentrafen.
Ich spüre, wie sehr sie sich in das Gebäude verliebt hat. Es ist ihr eine Herzensangelegenheit, möglichst sensibel mit der Historie des Hauses umzugehen und dennoch für Leichtigkeit zu sorgen. Dabei dürfe man kein zu starres Konzept haben, meint Nina Dietze. Man müsse angesichts der Überraschungen, die sich beim Freilegen von Dachbalken und historischem Gemäuer ergeben, flexibel bleiben und auf die eigenen Inspirationen vertrauen.
„Die Reederin“ bietet sieben Zimmer auf drei Etagen. Unter dem Dach gibt es eine Suite namens Ursula mit herrlichen Sichtbalken, die für eine Familie oder zwei zusammenreisende Paare sehr gut geeignet ist, da sie über zwei separate Schlafzimmer und separate Bäder verfügt.
Hochzeitsnacht mit Hilde
Aus den Fenstern bieten sich grandiose Ausblicke auf die benachbarten Häuser, auf rote Altstadtdächer und Backsteingiebel. Den imposanten Turm von St. Jakobi mit seinen Weltkugeln und die Turmspitzen von St. Marien erspäht man beim Blick aus dem Fenster im Zimmer Paula. Die Namensgeberin war mal ein Eildampfer, der ab 1922 zwischen Lübeck und Magdeburg fuhr.
Hilde heißt die großzügig geschnittene Hochzeitssuite, das einzige Zimmer mit einer Badewanne. Der Name passt deshalb so gut, findet die Hoteleigentümerin, weil Kapitän Hugo von Pein, der mit der „Hilde“ auf den Meeren unterwegs war, zur Hochzeit des Sohnes des Firmengründers Konsul Jacob Bertling eine Glückwunschkarte zeichnete, die als Kopie noch heute vorhanden ist.
Das Cognaczimmer – eine Namensschöpfung von Nina Dietzes Ehemann – dient als Hausbar, hier dürfen die Gäste es sich gern bei einem Drink gemütlich machen. Nina Dietze legt viel Wert darauf, dass sich ihre Bewohner auf Zeit im Haus frei bewegen können. Denn da es im Hotel keine klassische Rezeption gibt, bleibt Nina Dietze als gute Gastgeberin für Fragen und Wünsche jederzeit telefonisch erreichbar und kann bei Bedarf schnell von ihrem Zuhause nebenan über den Übergang zwischen den Häusern zu ihren Gästen herüberhuschen. Ihren eigenen Kontorraum stellt sie bei Bedarf sehr gern als Coworkingspace zur Verfügung. Dort lässt es sich auch wunderbar am Kamin verweilen und den eigenen Gedanken nachhängen.
Im großen Veranstaltungsraum im Erdgeschoss stehen zwei Sofas die flexibel und nach Belieben bewegt werden können. Das à la carte Frühstück genießen die Gäste im Raum nebenan. Hier wurde ein Erbstück – das ehemalige Buffet der Großtante des Ehemanns – wie selbstverständlich integriert. Diese beiden Räume, in denen ebenfalls die Farben aus den Gastzimmern dominieren, sollen perspektivisch auch Nicht-Hotelgästen zu Kaffee und Kuchen oder für Familienfeiern zur Verfügung stehen.
Skandinavisches Licht
Am Ende unseres Rundgangs stehen wir im Frühstücksraum mit Blick auf den Garten. Von außen fällt das strahlende Herbstlicht durch die Fenster, zeichnet helle Bilder auf die Wände und zaubert eine faszinierende Atmosphäre, die an die Aquarelle des schwedischen Malers Carl Larsson erinnert. Genau diese lebendig-fröhliche Stimmung wünscht sich Nina Dietze für ihr Herzensprojekt und für das Miteinander mit ihren Gästen.
Nach meinem Besuch bei der Reederin bin ich fest davon überzeugt, dass ihr dies mit ihrer positiven und optimistischen Haltung spielend gelingen wird.