Zu Besuch in Johannes Brahms‘ Musikzimmer.
Es fühlt es sich jedenfalls beinahe so an, als sei ich wirklich bei Brahms zu Gast. In der 1803 im klassizistischen Stil errichteten Villa Eschenburg, in dem das 1990 gegründete Brahms-Institut an der Musikhochschule Lübeck seinen Sitz hat, kann ich bei meinem heutigen Besuch für die Lübeck ZWISCHENZEILEN erahnen, wie das Ausnahmetalent Brahms in Wien gewohnt hat und erfahre vom Kurator der aktuellen Ausstellung „Beziehungszauber“ Musikbibliothekar Stefan Weymar nicht nur Details zur Konzeption der Beziehungszauber-Schau, sondern ganz viel über den Menschen Johannes Brahms.
Die Sammlung Hofmann
Zunächst einmal stellt sich mir die Frage, warum es das Brahms-Institut an der Musikhochschule in Lübeck gibt, schließlich hatte der Komponist ja keine ausnehmend enge Beziehung zu Lübeck und war nur ein einziges Mal hier. Sein Konzert mit dem Sänger Julius Stockhausen fand 1868 im damaligen Casino statt. Ausschlaggebend für die Institutsgründung war die Erwerbung der umfangreichen privaten Sammlung des Ehepaars Kurt und Renate Hofmann durch das Land Schleswig-Holstein. Beide arbeiten seit vielen Jahrzehnten an der Erforschung des Erbes von Johannes Brahms. Die Sammlung des Brahms-Instituts dokumentiert einen wichtigen Teil der deutsch-österreichischen Musikgeschichte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und sie wächst immer weiter an.
Wertvolle Handschriften, Erst- und Frühdrucke, Briefe von Künstlern, Freunden und Zeitgenossen Brahms‘, Fotos, und Zeichnungen, Konzertprogrammzettel zu wichtigen Aufführungen lagern in den Safes des Instituts. Viele der Dokumente stammen direkt aus dem Nachlass von Johannes Brahms. Allein im Findbuch Brahms sind über 12.000 Einheiten eingetragen, die rund 41.000 Digitalisate umfassen. Mir erscheint es schier unglaublich, dass sich überhaupt ein Überblick behalten lässt. Mithilfe des Findbuchs recherchieren Brahms-Fachleute ebenso wie Laien kostenfrei in der Datenbank. Neben der weiteren Digitalisierung der kostbaren Dokumente, bemüht sich das Team des Instituts rund um Prof. Wolfgang Sandberger auch um die Erweiterung der Sammlung. Häufig müssen Briefe ersteigert werden. So koste ein dreiseitiger Brief mit der Unterschrift des Komponisten schon einmal 5.000 € – 6.000 €, erzählt mir Stefan Weymar.
Brahms der Kaffeegeniesser
Wir schlendern durch die Räume der stilvollen Villa Brahms. Ein wirklicher Schatz, der selbst in Lübeck Vielen gar nicht bekannt ist. Die Brahms-Figur am Bouleplatz an der Wallstraße zeigt jedenfalls in die ganz und gar falsche Richtung.
Stefan Weymar berichtet mir von Johannes Brahms als habe er ihn erst gestern zum Abendessen getroffen. Es muss großartig sein, sich so intensiv einem einzigen Thema widmen zu können. Fast beneide ich ihn darum. Ein Wandgroßes Foto zeigt ein Gemälde des Brahmsschen Musikzimmers in der Karlsgasse 4 mit Blick auf die Karlskirche, in der er von 1871 bis zu seinem Lebensende in zwei schlicht eingerichteten Zimmern zuhause war. Mein Blick fällt auf eine Büste Beethovens – des großen Vorbilds. Auf ein Bildnis von Bismarck, aber auch auf zwei Kaffeemaschinen. Brahms liebte Kaffee und braute ihn selbst, erläutert Stefan Weymar. Über das von Freunden als Überraschung installierte elektrische Licht habe er sich wie ein Kind gefreut. „Das ist ja Zauberei!“ habe er immer wieder gerufen und die ganze Nacht das Licht an- und ausgeschaltet.
Ein bescheidener Norddeutscher sei Brahms sein Leben lang geblieben. Auch nachdem er mit dem auf Bibeltexten basierenden „Deutschen Requiem“ und den von ihm gesetzten „Ungarischen Tänzen“ ein gemachter Mann geworden war und Weltruhm genoss. Gesetzt, nicht komponiert. Brahms schrieb seinem Verleger Fritz Simrock, „er habe diese Pußta- und Zigeunerkinder nicht gezeugt, sondern nur mit Milch und Brot großgezogen“. Bis heute werden die Tänze in der ganzen Welt gespielt und geliebt.
Nach außen habe der Komponist oft verschlossen und geradezu sarkastisch gewirkt. Im Kreis seiner Freunde zeigte sich Brahms jedoch als Genießer, der Eierpunsch und Schokolade liebte. Wie genau es um seine Beziehung zu der 14 Jahre älteren Clara Schumann stand? Sie waren einander in Freundschaft verbunden. Brahms bewunderte die Pianistin. War es mehr als das? Wir werden es nie erfahren. Überhaupt: Brahms und die Frauen. Er war häufig verliebt, letztlich aber ein Mensch, dem eine gewisse Beziehungsangst zu eigen war. So schrieb er der Göttinger Professorentochter Agathe von Siebold, mit der er kurzzeitig verlobt war, „Fesseln tragen kann ich nicht“.
Die aktuelle Ausstellung „Beziehungszauber“
Die thematische Klammer für die aktuelle Ausstellung ist denn auch das Beziehungsgeflecht rund um Johannes Brahms. Über 1.000 Briefpartner:innen hatte Brahms. Weggefährten, enge Vertraute, Künstlerpersönlichkeiten, Verehrerinnen und von ihm bewunderte Damen werden vorgestellt. Der Fokus liegt auf Widmungskompositionen enger Freunde und verehrender Kollegen. Etwa 100 Kompositionen wurden Brahms zu Lebzeiten gewidmet. Gemäß damaliger Gepflogenheit, war es üblich, den Künstler zunächst höflich um Erlaubnis zu bitten, eine eigene Komposition erarbeiten und ihm diese „freundschaftlich“ oder „verehrungsvoll“ zueignen zu dürfen.
„Nun wage ich es noch eine ehrerbietige Bitte an Sie, hochverehrter Meister zu richten. Erlauben Sie mir, dass ich Ihnen aus Dankbarkeit und tiefster Hochachtung für Ihre unvergleichlichen Schöpfungen die Dedication meines D moll Quartettes anbieten darf!“
Antonín Dvořák an Johannes Brahms im Januar 1878
Jedes Exponat erzählt eine eigene facettenreiche Geschichte. Im gezeigten Adressen-Buch von Brahms waren die Einträge interessanterweise nach Städten geordnet. Kostbare Erstdrucke in den Vitrinen im Gartensaal belegen die engen Beziehungen zwischen den Zeitgenossen. Der „Beziehungszauber“ ist übrigens nicht nur vor Ort, sondern auch digital zu entdecken.
Im Wintergarten lasse ich mich an einer der Hörstationen nieder, um Brahms nun auch musikalisch zu genießen. Mein Blick schweift über das herrliche Sommergrün im Garten der Villa. Korbstühle laden zum Verweilen ein. Ein wundervoller Ort, um das Gesehene tiefer wirken zu lassen. Und mich auf das nächste Brahms-Festival vom 7. bis 15. Mai 2022 vorzufreuen. Der „Beziehungszauber“ ist noch bis zum 15. Dezember in der Villa Brahms zu erleben und online bis Ende des Jahres. Geöffnet ist immer am Mittwoch und am Samstag jeweils von 14-18 Uhr.
P.S. Etwas ziemlich Verrücktes habe ich übrigens hier gefunden: