Das ist Grass

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Barbara Schwartz

Die neue Dauerausstellung im Günter Grass-Haus in Lübeck

Und wieder besuche ich das Günter Grass-Haus in der Lübecker Altstadt, das im kommenden Oktober sein 20. Jubiläum begehen wird. Ein passender Anlass für die Neukonzeption der zweisprachigen Dauerausstellung mit dem Titel „Das ist Grass“, die ganz neue Einblicke in die Arbeit des Nobelpreisträgers ermöglicht und für die der Ausstellungsdesigner Matthias Kaminsky verantwortlich zeichnet. In den letzten Jahren wurden bereits mehrere Angebote des Hauses digital aufbereitet. Ein unabdingbarer Schritt, ganz zweifellos. Dennoch bleiben Kultureinrichtungen analoge Orte des unmittelbaren Erlebens. Am Ort des langjährigen Wirkens von Günter Grass gilt dies ganz besonders.

Grass und sein geliebtes Danzig

Eingang, Diele und Garten sind nun in die Gesamtschau einbezogen, die von Grass‘ Geburt 1927 bis zu seinem Todesjahr und zum Themenkomplex „Nachwirkungen“ der Ausstellung einen weiten Bogen spannt. Die in Danzig verbrachten Jahre der Kindheit und der Jugend haben in jedem der Werke des Schriftstellers einen Raum gefunden. Die in der Heimatstadt gemachten Erfahrungen waren eine, wenn nicht DIE Grundlage seines gesamten Schaffens. So überrascht es denn auch nicht, dass in der Diele des Hauses, das sich direkt an den Shop anschließt, ein Teppich ausliegt, der einen Stadtplan von Danzig zeigt. Der Museumsgast bleibt stehen, sogleich ist die Neugier durch Fotografien aus den Kinderjahren des Künstlers geweckt.

Bela B. von den Ärzten bei der Günter Grass Ausstellung in Lübeck

Video-Installation mit Bela B.

Eindrücklicher noch ist die Video-Wand aus neun Monitoren, die eine Filmcollage der Regisseurin Marie König zeigt. Eine Mammutaufgabe, wie sie selbst sagt: das umfangreiche Grass-Werk widerzuspiegeln und dabei eine gewisse Zeitlosigkeit darzustellen. So habe sie Szenen aus den Verfilmungen der „Blechtrommel“ aufgenommen. Ebenso Sequenzen aus „Katz und Maus“. Aber auch zahlreiche Eindrücke aus dem Alltagsleben der Menschen, das vom Nationalsozialismus immer stärker überschattet wird. Ineinander verwoben sind Szenen des trommelnden Oskar Matzerath und des Ärzte-Schlagzeugers Bela B., der sofort bereit gewesen sei, das Projekt zu unterstützen. Dazu Trümmer und brennende Häuser. In Anbetracht des sich aktuell stündlich verschärfenden Ukraine-Kriegs eine beklemmende Erfahrung.

Und im Hintergrund hören wir über alledem die Stimme von Günter Grass, der Antworten auf die Frage gibt „Warum ich schreibe?“ „Blubb, ppschsch – was übrigbleibt, schreibe ich auf.“

Wirf einen Blick in die Ausstellung:

Auch die LÜBECK ZWISCHENTÖNE sind im Günter Grass-Haus gewesen und haben über die Installation von Bela B. berichtet. Hier hörst du einen Ausschnitt aus dem Podcast:

ZwischenTöne Snack

Hörtipp: Warum trommelt Bela B. im Günter Grass-Haus?

Es war eine tanzwütige Zeit

Der junge Grass begegnet uns im Garten, der nun mit einer Sitzbank aufwartet, die dazu einlädt, zu verweilen und das Gesehene auf sich wirken lassen und die inspirierende Architektur wahrzunehmen. So typisch lübsch mit Backstein und norddeutschem Himmel. Eine große Fotowand zeigt Grass als jungen Künstler, der in den 1950er Jahren sein Leben genoss und dessen Tage gefüllt waren mit Reisen, Tanzen und Ausgehen. Ein Grass-Foto aus dem Jahr 1956 steht symbolisch für die Zeit des Übergangs als aus dem bildenden Künstler auch ein Schriftsteller wurde. Über dem Eingang zum Hauptgebäude prangt die Signatur des Künstlers in LED. Am Abend eine leuchtende Einladung an den Gast, in die Schaffenswelt des Nobelpreisträgers einzutreten.

Günter Grass Ausstellung in Lübeck

Die große Welt im Kleinen

Zum Glück ist mein heimliches Lieblingsexponat der früheren Dauerausstellung, der Kolonialwarenladen aus Grass‘ „Blechtrommel“ noch da. Ich habe mich beim ersten Anblick damals gleich schockverliebt. Die Deja-vus meiner Kindheit: Die große Registrierkasse, ein gelber Fliegenfänger, der von der Decke baumelt. Auch mein Papa war mit Leib und Seele Kaufmann in einem Unverpackt-Laden. Nur nannte man den damals nicht so. Der Kolonialwarenladen im Grass-Haus wurde durch drei Dioramen der Künstlerin Sara-Christin Richter ergänzt, die sich mit Symbolen und vielen kleinen Details aus der Blechtrommel auseinandergesetzt hat. 2-3 Wochen dauere die Arbeit an einer Figur, berichtet die Künstlerin. Wer mag erfährt hier mehr über ihre Arbeit.

Zaubern auf weißem Papier

Durch die Glastür geht es zur großen Ausstellungsfläche. Im Hauptraum wird eine „Best of“-Schau von rund 1.400 vorhandenen Grafiken gezeigt. Einige der Exponate wie Zeichnungen aus Grass‘ Studentenzeit sind hier erstmals öffentlich zu sehen. Der Rundgang ermöglicht es, anhand ausgesuchter Beispiele das gesamte Spektrum von Grass‘ Arbeiten kennenzulernen – von den Zeichnungen der frühen Jahre über die Danziger Trilogie, die Radierungen der 1970er Jahre, die Aquarellarbeiten der 1990er und die späten Werke der 2000er Jahre, als Grass seine eigenen Techniken weiter perfektionierte. Grass zauberte auf weißem Papier. Als Maler und als Schriftsteller.

Günter Grass Ausstellung in Lübeck

Hier steht auch eine Leihgabe des Grass-Sohns Bruno: Die Olivetti-Schreibmaschine, auf der Günter Grass in den späten fünfziger Jahren den größten Teil seiner „Blechtrommel“ schrieb und die ein Geschenk der Schwester des Schwiegervaters zur Hochzeit von Günter Grass und Anna Schwarz war. Das Datum der Eheschließung, der 20. April 1954, sei für seinen Vater eine ziemliche Zumutung gewesen, sagt Bruno Grass. Die Schreibmaschine habe sein Vater ihm später geschenkt und er habe sie nun in einer stabilen ALDI-Tasche hergebracht. „Mein Vater hat dort sicher nie gekauft“, stellt er schmunzelnd fest. Grass war eben auch ein privater Mensch, ein Vater, ein Danziger und ein Lübecker. Wo auch immer er eingekauft hat.

Günter Grass Ausstellung in Lübeck

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Barbara Schwartz

Kennst du das auch? Du kommst an einer Inschrift, einer Skulptur oder einer Gedenktafel vorbei und musst einfach stehenbleiben, um herauszufinden, was es damit auf sich hat? So geht es mir. IMMER! „Man erblickt nur, was man schon weiß und versteht.“ Ich kann Goethe an dieser Stelle nur hundertprozentig zustimmen. Genau deshalb möchte ich nie aufhören, das nur scheinbar Unwichtige aufzuspüren, Zusammenhänge zu erkennen, Neues zu erfahren und Menschen und ihren Geschichten auf die Spur zu kommen. Okay und zu lange Sätze zu schreiben .. . Und neue Sprachen zu lernen natürlich ...

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