Bei meinem Besuch im The Layhead B&B im Gründungsviertel war mir ein riesiges Gemälde aufgefallen. Es hängt im dortigen Frühstücksraum als Leihgabe der Galerie per-seh, die direkt gegenüber in der Fischstraße 21 liegt. Damals nahm ich mir bereits vor, der Galerie einen Besuch abzustatten, die seit Dezember 2021 die Galerie-Szene in Lübeck bereichert. Und als ich zur diesjährigen Kiesau Literaturnacht zu einer Lesung eine erste Gelegenheit bekam, mich in den Galerieräumlichkeiten umzusehen, wuchs meine Neugier, das Inhaberehepaar Frank und Sabrina Buchholz kennenzulernen.
Kunst spricht für sich
Per-seh. Der Name ist hier Programm. Gezeigt werden Kunstwerke, die durch sich selbst heraus mit der sie betrachtenden Person in eine Beziehung treten. Klingt einfach und ist ganz einfach, wie mir Frank und Sabrina Buchholz bei einem frischgebrühten Kaffee eindrücklich vermitteln. Die beiden Galeristen waren über viele Jahre regelmäßig in ihre Ferienwohnung nach Lübeck gekommen, um am Lübecker Kulturleben teilzuhaben. Die Liebe zu Lübeck wuchs beständig. und so reifte die Entscheidung, ganz hierher überzusiedeln. Nach langer Suche fand sich zunächst ein Objekt im Domviertel bevor nun das Gründungsviertel zum neuen Zuhause der Buchholzens wurde.
Frank und Sabrina Buchholz sind Quereinsteiger in der Kunstszene, was nicht heißt, dass sie sich nicht bereits ihr ganzes Leben lang mit Kunst auseinandergesetzt haben: Frank Buchholz ist gelernter Schriftsetzer, der eine eigene Druckerei und eine Werbeagentur in Hannover betrieb. 2007 gründete er seine Galerie per-seh in Hannover.
Sabrina Buchholz ist eine Frau der Zahlen, die hauptberuflich als Controllerin in einem großen Unternehmen beschäftigt ist, in der Freizeit sehr gern figurativ arbeitete und nebenbei einen Kunstgewerbebeladen in Hamburg unterhielt.
Beide empfinden Lübeck als spannende Stadt mit vielen Brüchen, deren kulturelle Vielfalt sie genießen und mit ihren eigenen Projekten bereichern. So öffneten sie ihre Galerie 2022 für die Lübecker Museumsnacht, die auch 2023 wieder fest im Veranstaltungsprogramm der per-seh Kunst.Galerie. steht. Die Buchholzens schätzen auch die Große Kiesau Literaturnacht. Erstmals stellten sie für diese einzigartige Lübecker Literaturveranstaltung 2022 die Diele im Haus Fischgrube 21 zur Verfügung, und in diesem Jahr las zur 17. Große Kiesau Literaturnacht Michael Dangl dort aus seinem Buch: „Orangen für Dostojewski“. Die eingangs beschriebene Kooperation mit dem The Layhead Bed & Breakfast hat sich inzwischen in Form gemeinsam organisierter Weinverkostungen weiterentwickelt und weitere Projekte zur Erweiterung des Netzwerks sind bereits in Planung.
Unikaten verpflichtet
Anders als andere Galerien in Lübeck zeigt die Galerie per-seh keine selbst produzierten Kunstwerke. Per-seh vermittelt nationale und internationale Kunstschaffende, darunter viele Mehrfachbegabungen. Letztere stammen z.B. aus Spanien, Dänemark, Georgien und der Schweiz. Frank und Sabrina Buchholz haben sich Unikaten verschrieben. Sie betrachten Kunst als Ausdruck der menschlichen Kreativität und Emotionen. Sie glauben fest daran, dass jedes Kunstwerk eine eigene Geschichte erzählt und eine einzigartige Botschaft vermittelt. Ich erfahre, dass Unikat nicht immer bedeuten muss, dass es das Kunstwerk tatsächlich nur ein einziges Mal geben darf. Sabrina und Frank Buchholz ist es wichtig, dass beispielsweise bei Bronzen nur Kleinauflagen bis zu sieben Stück existieren, wobei sich jedes einzelne Werk dann doch ein ganz klein wenig von den anderen sechs unterscheidet. Handelt es sich um eine Radierung, so ist es wichtig, dass sie von der Künstlerin als Original signiert wurde, und dass sich durch die Handarbeit beim Drucken auch kleine Unterschiede erkennen lassen.
Die Galeristen kennen „ihre“ Künstler:innen und deren Biographien zum Teil seit Jahren. Deshalb können sie die persönliche und professionelle Entwicklung an den präsentierten Werken ablesen und jeweils spannende Hintergrundinformationen zu Werk und Künstler:in und deren Motivation geben. Sie kennen die Geschichten hinter den Werken, da sie enge Beziehungen zu diesen etablierten Künstler:innen pflegen, deren Schöpfungen eine Vielfalt an Stilen und Techniken abdecken. Frank und Sabrina Buchholz betrachten sich auch als Kurator:innen und Botschafter:innen für die Kunstschaffenden, die sie repräsentieren.
Mich interessiert sehr, nach welchen Kriterien sie die Kunstschaffenden für ihre Galerie auswählen. Handwerk und Technik müssen stimmen und die Künstler:innen und Werke müssen beide ansprechen. Einer der ersten Künstler, den die Galerie aufnahm, ist der aus Katalonien stammende gestische Maler Antoni Amat. In Lübeck sehr bekannt ist der in Schlutup lebende Bildhauer Winni Schaak, der bevorzugt mit Cortenstahl arbeitet und monumentale Werke schafft, aber auch solche in Miniaturformat. Eine Übersicht der Künstler:innen, die die Galerie per-seh aktuell vermittelt, kannst du vor Ort direkt am großen Schaufenster ablesen oder aber hier recherchieren.
Haben Sie eine Wand?
Frank und Sabrina Buchholz‘ größte Freude ist es, Werke und Kund:innen zusammenzubringen. Beide lassen sich nur zu gern auf Gespräche mit den Gästen ihrer Galerie ein, um herauszufinden, was dieser Mensch möchte oder braucht. „Haben Sie eine Wand?“ Für eben diese Wand genau das passende lebensbereichernde Werk zu finden, macht den beiden Galeristen einfach Spaß. Hinzukommt, dass ein Kunstwerk nicht für ein ganzes Leben zu dir sprechen muss. Man denke an Picassos Kind mit Taube, das zu meinen Studienzeiten als Poster in beinahe jeder WG hing und zweifelsohne ein großartiges Kunstwerk ist. Aber irgendwann war es dann auch mal langweilig.
Ich bin vollkommen überzeugt davon, dass allein schon das Gespräch über ein bestimmtes Werk oder über Kunst im Allgemeinen die Essenz ihres Lebens ist. Menschen und Kunst zuammenzubringen, das Bewusstsein für die Bedeutung von Originalität zu schärfen und Menschen dazu zu ermutigen, individuelle Kunstwerke zu schätzen und zu erwerben, ist die Mission. Ich erlebe das Ehepaar Buchholz als ausgesprochen zugewandte Persönlichkeiten, die ihre Expertise gern teilen, aber vor allem sehr gut zuhören können. In jedem Kunstwerk ist die Seele des Erschaffers oder der Erschafferin eingefangen. Was aber jeder einzelne Mensch letztlich darin sieht, hat ganz viel mit dessen Persönlichkeit zu tun.
Per-spektiv
Die Galerie per-seh ist recht klein, für Vernissagen oder größere Veranstaltungen eignet sie sich nicht. Umso besser aber für Treffen in kleinerem Kreis. Regelmäßig findet das Format per-spektiv statt, bei denen das jeweilige Kunstwerk des Monats gemeinsam betrachtet und im Gespräch beleuchtet wird. Auch zu diesen Anlässen geben die Galeristen lediglich einen Impuls und verstehen sich nicht als Vortragende. Im Mai 2023 ist ein Werk der Künstlerin Simona Deflorin das Kunstwerk des Monats. Von Zuhause aus kannst du es dir hier schon einmal anschauen. Einen Online-Shop gibt es ganz bewusst nicht. Du bist herzlich eingeladen, in der Galerie vorbeizuschauen, dich umzusehen und auch beraten zu lassen. Neben den ausgestellten Werken gibt es auch ein Schaulager, aus dem die Buchholzs nach Bedarf und Wunsch weitere Schätze hervorzaubern. Falls du eine Wand hast! Oder einen Platz zum Aufstellen!
