Trau deinen Ohren
Was geschieht, wenn du deinen Sehsinn ausschaltest? Wenn die Augen verdeckt sind und nur deine Ohren wach bleiben? Das Konzert „Trau deinen Ohren“, aufgeführt im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festival 2025, wagte genau dieses Experiment und bot am 8. Juli einen Konzertabend der besonderen Art. Für unsere Rubrik ZWISCHENDRIN der Lübeck ZWISCHENZEILEN habe ich das Konzert im Kuhstall des Gutshauses Pronstorf besucht. Ja, dies hier ist ein Rückblick auf eine Veranstaltung, die du in dieser Form nicht mehr erleben kannst. Die frisch gestartete Festivalsaison bietet dir jedoch noch eine Menge musikalischer Überraschungen. Es ist gut möglich, dass du für deinen Musikschatz einmal etwas ganz Neues ausprobieren musst.

Auf Strumpfsocken am Dirigentenpult
Die Idee zu diesem Abend für die Ohren hatte Omer Meir Wellber, einer der führenden Dirigenten für Opern- und Orchesterrepertoire, der für seine feinsinnige Klanggestaltung und seine Offenheit für ungewöhnliche Konzertformate bekannt ist. Zum Glück stieß seine Anregung beim Intendanten Dr. Christian Kuhnt und beim Künstlerischen Leiter Frank Siebert auf offene Ohren und Herzen.
Und so wurde uns Gästen schon beim Betreten des Saals klar: Hier läuft etwas anders. Auf den Stühlen lagen Augenmasken mit dem Aufdruck des Abendmottos „Trau deinen Ohren“. In Strumpfsocken bat der Dirigent darum, die Masken aufzusetzen und in der ungewohnten Situation erst einmal anzukommen. Inzwischen nahmen die Musiker:innen des Streichensembles der Volksoper Wien ganz leise ihre Plätze ein. Manche schlichen auf Socken zu ihrer Position auf der Bühne oder irgendwo im weiten Raum des Kuhstalls. Jeder Schritt sollte lautlos sein. Es ging nicht nur darum, Musik zu machen – sondern auch darum, alles andere drumherum möglichst zu vermeiden: kein Absatzticken, kein Geräusch, das vom Klang ablenkt. Und so wurde selbst das Knacken des Dielenbodens oder ein Knistern im hölzernen Gebälk des Kuhstalls plötzlich zum Ereignis. Denn wo das Auge nichts sieht, beginnt das Ohr zu suchen beim Schleswig-Holstein Musik Festival 2025.

(sich) bewegende Klänge
Die Musiker:innen, die auf einer der traditionsreichsten Bühnen Europas zu Hause sind, zeigten hier eine ganz andere Seite ihres Könnens: intim, beweglich, fast kammermusikalisch – und zugleich voller Ausdruckskraft. Mit großer Sensibilität bewegten sie sich nicht nur musikalisch, sondern eben auch physisch durch den Raum. Ihr Zusammenspiel war präzise und doch lebendig, immer im Dienst des Ganzen. Man spürte die große Erfahrung – aber auch die Neugier auf das Experiment, auf die Nähe zum Publikum und das Spiel mit der Wahrnehmung beim Schleswig-Holstein Musik Festival 2025.
Die Werke selbst, von Mozart (Eine kleine Nachtmusik) über Ralph Vaughan Williams (Fantasia on a Theme by Thomas Tallis) bis hin zu Dvořáks E-Dur-Serenade, wurden in fließender, nicht festgelegter Reihenfolge dargeboten. Auch die Pause war zeitlich vorab nicht fest geplant. Alles geschah in der Dramaturgie des Moments.
Mit dabei war auch ein zeitgenössisches Werk: „Near and Far“ des georgischen Komponisten Josef Bardanashvili, eine Auftragskomposition für das SHMF, die sich nahtlos in diese klanglich wie räumlich offene Struktur einfügte. Der Titel – „Nah und fern“ – spiegelte dabei treffend das Hörerlebnis: Musik, die sich im Raum verlor, wieder annäherte, entzog, zurückkehrte. Am Ende gab es stehende Ovationen.
Lauschendes Auditorium
Was dieses Konzert besonders machte, war auch die Haltung des Publikums. Wer hier saß, tat das mit spürbarer Neugier und Offenheit. Einer fast kindlichen Freude am Lauschen. An den Obertönen und den Pausen. An der Frage: Woher kommt dieser Klang?
„Trau deinen Ohren“ war für mich ein klug inszeniertes Klangexperiment – zwischen Nähe und Ferne, Bewegung und Stille, Kontrolle und Hingabe. Wer dabei war, ging mit geschärften Sinnen nach Hause. Falls du neugierig geworden bist, schaue am besten direkt ins Programm des Schleswig-Holstein Musik Festival 2025 und finde deinen eigenen Ohrenschatz.
ÜBRIGENS: auch unser Lübeck ZWISCHENTÖNE-Team berichtet in der aktuellen Podcast-Ausgabe vom SHMF 2025.




