„Ich war mein ganzes Leben lang ein Gaukler, und ich war es gern“
Armin Müller-Stahl
Armin Mueller-Stahl, ein beeindruckender Zeitzeuge, ein Ausnahmetalent, ein Mensch, der einen Raum füllt, wenn er ihn betritt. Welch‘ Geschenk, ihn heute inmitten seiner Werke in der Kunsthalle St. Annen erlebt haben zu dürfen. En passant wird für mich heute ein Stück Kulturgeschichte erlebbar. Armin Mueller-Stahl hat viele prägende Größen des Filmgeschäfts und der Literatur, der Kunst und der Musik erlebt, mit ihnen gearbeitet, Freundschaften gepflegt.

In der für das Publikum ab dem 16. Juni geöffneten Ausstellung werden Mueller-Stahls Gemälden, Zeichnungen und Druckgrafiken Filmsequenzen und Szenenfotos gegenübergestellt, die deutlich machen, dass sein schauspielerisches und malerisches Schaffen stets eine Symbiose eingehen und seine unterschiedlichen künstlerischen Aktivitäten einander gegenseitig beeinflussen. Die rund 140 Bilder der Ausstellung wurden gemeinsam mit dem Künstler ausgewählt.
Von Osten nach Westen
So wird ein spannender Bogen gespannt. Der Themenblock „Von Osten nach Westen“ greift beispielsweise die für die Biografie Mueller-Stahls zentrale Auseinandersetzung mit der prägenden Erfahrung des ehemaligen DDR-Regimes und dessen Auswirkungen auf das alltägliche Leben auf.


Goethes URFaust
Goethes „Urfaust“ bot ihm 2003 Inspiration. Diese Werke zeigen die Tiefe der Auseinandersetzung des Künstlers mit existenziellen Fragen und der Sinnsuche des Einzelnen in einem größeren gesellschaftlichen und philosophischen Kontext.

Hollywood
Im Raum „Night on Earth – Day on Earth“ stehen die gezeigten Einzelwerke und Bildzyklen vielfach in einem direkten Bezug zu Mueller-Stahls Arbeit als Hollywood-Schauspieler. In Kalifornien hält er sich bis heute sehr gern auf. Besitzt auch die amerikanische Staatsbürgerschaft und lebt in Pacific Palisades – Thomas Manns Zufluchtsort in dessen Jahren des Exils.

Immer war das Schaffen Mueller-Stahls jedoch auch eine Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Themen wie der Kultur, der Wissenschaft und der Politik. Ganz besonders bewegt ihn die Situation der Menschen, die zu Flucht oder Migration gezwungen sind.
Völkerverständigung
Das Thema der Völkerverständigung liegt ihm sehr am Herzen – in einer Zeit, in der eine Spaltung der Gesellschaft spürbar wird und sich Angriffe auf Synagogen und jüdische Einrichtungen häufen. So zeigt sein jüngster erst 2020 entstandener Werkzyklus „Jüdische Schicksale, Freunde und Weggefährten“ Portraits, die in dieser Form erstmals in der Öffentlichkeit zu sehen sind.

Dieser Teil der Ausstellung beeindruckt mich persönlich ganz besonders.
Mueller-Stahl hat 90 jüdische Menschen porträtiert darunter Billy Wilder, Franz Kafka, Paul Celan, Helene Weigel, Isaac Stern, Jurek Becker und Kurt Maetzig.
Alle vom Künstler porträtierten Persönlichkeiten, obgleich teils nicht weithin bekannt, haben auf ihre Weise die Welt geprägt. Häufig gibt es enge Bezüge auch zu Lübeck. Ein Beispiel ist das Portrait Eric M. Warburgs, der sich mit seinem Cousin Carl Jacob Burckhardt dafür einsetzte, dass Lübeck nach dem Angriff im März 1942 von weiteren Bombardements verschont blieb. Oder das Portrait des Lübecker Rabbiners, Lehrers und Autors Salomon Carlebach, in dessen Amtszeit die Fertigstellung der Lübecker Synagoge fiel. Mich bewegt sehr, dieses Werk direkt gegenüber dem Fenster zu entdecken, das auf „seine“ Synagoge hinausgeht. In diesem Teil der Ausstellung könnte ich stundenlang bleiben und den unglaublich detailreich und pointiert erzählten Geschichten des Künstlers zuhören, die er mit den portraitierten Personen verbindet.. Ein wahres Feuerwerk an Namen, Daten und Fakten. „Ach ja, der Bernstein…“ „Bei Schönbergs Schwiegertochter Barbara gab es immer Sachertorte und Schnitzel..“ „Gershwin und Schönberg verband ja das Tennisspiel…“ In diesen Genuss kommen übrigens – indirekt – auch die Ausstellungsgäste, da Mueller-Stahl viele Erinnerungen in einem in der Ausstellung laufenden Begleitfilm teilt.
Salomon Carlebach, Stammvater einer der angesehensten Rabbinerfamilien in Deutschland Blick zur Lübecker Synagoge
„Die Musik liegt allem zugrunde.“
Armin Mueller-Stahl
Auf die Frage, welche Kunstgattung ihm in seinem künstlerischen Schaffen am liebsten sei, antwortet er, dass für ihn ganz eindeutig die Musik allem zugrunde liege. Eine Kunstform, die sich am schnellsten erschließen lasse und die Menschen immer berühre, da jeder Mensch mit Musik Erinnerungen verknüpfe und beispielsweise noch genau wisse, welches Lied spielte, als er zum ersten Mal verliebt war.
So verwundert es kein bisschen zu hören, dass er gern vor seinen Werken Geige oder Klavier spielt und dass viele seiner Werke beim Hören passender Musikstücke entstanden sind. Und auch aktuell hört Mueller-Stahl Jazz während er Größen des Jazz malt. Ich hoffe, dass auch die derzeit entstehenden Werke bald gezeigt werden und uns dieses Multitalent noch lange erhalten bleibt. Einstweilen freue ich mich über die vielen Assoziationen, die der Besuch der Ausstellung in mir geweckt hat. Bis zum 24. Oktober 2021 erwartet dich ein wirkliches Highlight dieses Sommers.
P.S. Hast du das Interview mit Armin Mueller-Stahl schon gehört?