Cranach – Kemmer – Lübeck

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Barbara Schwartz

Meistermaler im St. Annen-Museum

Heute genieße ich ein ganz besonderes Privileg: ich darf schon mal vorab im Lübecker St. Annen Museum einen Blick hinter die Kulissen der neuen Ausstellung „Cranach-Kemmer-Lübeck – Meistermaler zwischen Renaissance und Reformation“ werfen, die am 24.10. eröffnen und bis 06.02.2022 zu sehen sein wird.

Ich werde von der Museumsleiterin Dr. Dagmar Täube durch die frisch für die Exponate hergerichteten und mit neuer Technik ausgestatteten Räumlichkeiten geführt, in denen in diesen Tagen vor der Eröffnung hochkonzentriert gearbeitet wird. Jeden Tag treffen kostbare Leihgaben ein. Die museumseigenen Werke hängen zum Teil schon an ihrem Platz. Frau Dr. Täube gewährt mir einen Einblick in eine Welt, in der sie sich als Spezialistin für die Kunst des Mittelalters und insbesondere des 15. und 16. Jahrhunderts mit großer Leichtigkeit bewegt. Sie erzählt mit blitzenden Augen von den großen Reformatoren und prägenden Lübecker Persönlichkeiten, die vor vielen hunderten Jahren lebten, als habe sie erst jüngst mit ihnen geplaudert

Hidden champion – Hans kemmer

Frau Dr. Täube gesteht mir, dass auch ihr der Name Kemmer noch vor wenigen Jahren kein Begriff war. Als sie die Leitung des Hauses vor 5 Jahren übernahm, entdeckte sie in der Dauerausstellung im Kreuzgang zwei etwas unbeachtete Werk Kemmers, die in keinem guten Zustand waren. Ihre Neugier war geweckt. Es folgten Recherchen, Forschung und der Austausch mit Kolleg:innen in aller Welt über diesen Lübecker Maler, der nach seinem Tod in Vergessenheit geraten war. Die Vielschichtigkeit des Themas fesselte sie. So sehr, dass nach nur 1,5 Jahren intensiver Vorbereitung die Lübecker Ausstellung in wenigen Tagen ihre Türen öffnen wird. Kemmer ist eine Wiederentdeckung und ein Geschenk an Lübeck

Das genaue Geburtsdatum des Renaissancemalers Kemmers ist nicht bekannt, wird jedoch auf 1495-1500 datiert. Man vermutet, dass Kemmer zwischen 1515 und 1520 in der Wittenberger Werkstatt Lucas Cranach des Älteren seine in Lübeck begonnene Lehrzeit fortsetzte. Dass Kemmer bei Cranach arbeitete und einer seiner wichtigsten Schüler war, lässt sich anhand von Unterzeichnungen feststellen, die vermittels der Infrarotreflektografie sichtbar werden. In der Ausstellung wird mit verschiedenen Beispielen gezeigt, wie diese Spezialkamera funktionert. Kemmers Stil war prägnant und individuell – wie eine Handschrift. Er zeichnete schwungvoll Umrisse und Details auf der Leinwand vor. Werke mit eben solchen Unterzeichnungen fanden sich auch in der Cranach Werkstatt.

ZwischenTöne Snack

Hörtipp: Dr. Dagmar Täube, Leiterin des St. Annen-Museums Lübeck über die Cranach-Kemmer-Ausstellung

Mit den in Wittenberg vervollkommneten Fertigkeiten, vor allem aber mit frischen Eindrücken aus dem Zentrum der sich anbahnenden Reformation kehrte Hans Kemmer 1520 nach Lübeck zurück. Hier ehelichtete er 1522 die Malerwitwe Anneke Wickhorst und übernahm die Werkstatt des zuvor Verstorbenen. Eine damals übliche Praxis, dass eine Handwerkerwitwe nach dem Tod des Gatten einen Gesellen heiratete. Sozusagen eine win-win-Situation, war doch die Witwe gut versorgt und als Geselle kam man zu einer eigenen Werkstatt. Rasch war Kemmer in Lübeck gut vernetzt, bekam Aufträge betuchter Lübecker Bürgerfamilien und konnte 1528 ein Haus in exklusiver Lage in der Königstraße 34 erwerben. Auch nach der Reformation, die 1531 in Lübeck angekommen war, hielt sein Erfolg an. Die Bildsprache Cranachs passte er Lübecker Verhältnissen an. Er portraitierte vornehme Kaufleute und vertrat die Maler und Glaser im Lübecker Rat als Ältermann. Am 2. August 1561 starb Hans Kemmer und wurde in der Katharinenkirche beigesetzt. Danach geriet sein Name in Vergessenheit. 29 Kemmer-Werke sind heute bekannt. 22 werden 460 Jahre nach seinem Tod zum Teil erstmals öffentlich gezeigt. Leihgaben aus Privatbesitz, aus einigen europäischen Nachbarländern, eines auch aus den USA.

Superstar Lucas Cranach d. Ältere

Zu Cranach gab und gibt es unzählige Ausstellungen und eine umfangreiche Forschung, darunter das Cranach Digital Archive. Eine Plattform, die auch der interessierten Öffentlichkeit Zugang zu dem Multitalent Cranach verschafft: https://lucascranach.org/ Mehr als 1.500 Gemälde Cranachs sind erhalten. Cranach hatte eine florierende Werkstatt in Wittenberg, und malte Motive in Serie. Oder besser: häufig ließ er seine Gesellen malen. Er war bekannt in ganz Sachsen, wurde neun Mal zum Bürgermeister Wittenbergs gewählt, besaß einen Weinhandel, eine Buchdruckerei, eine Apotheke, zahlreiche Immobilien und war auf das engste mit Martin Luther, Philipp Melanchthon und Georg Spalatin verbunden. Und eben diesen prägenden Zeitgenossen begegnete auch Hans Kemmer in der Werkstatt Cranachs.

The times they are a-changin

Cranach und Kemmer lebten in spannenden Zeiten. Gut: wann war es in der Menschheitsgeschichte jemals langweilig? Am Ende des 15. und im 16. Jahrhundert tat sich jedefalls einiges. Mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, der Entdeckung Amerikas, mit der Erfindung des Buchdrucks und der Übersetzung der Bibel durch Luther, wandelte sich die Gesellschaft und mehr Menschen konnten an gesellschaftlichen und politischen Prozessen teilhaben. Eine Zeit des Umbruchs im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit.

Nicht mehr die Jenseitsvorsorge bestimmte das Leben der Menschen. Neue Themen und deren Verarbeitung durch zeitgenössische Künstler wurden relevant. Waren in der Renaissance vor allem betende Stifter portraitiert worden, stand nun der Mensch als eigenverantwortliches Wesen im Mittelpunkt.

Sneak preview

Was erzählen mir also die Gemälde von Kemmer und Cranach? Da ist z.B. das Portrait des Bergenfahrers Hans Sonnenschein. Er zeigt sich uns hutlos mit der Lebensfrucht in der Hand. Das Bild ist stark übermalt. Im Original, das ca. von 1534 stammt, trug er einen Hut und eine Schriftrolle in der Hand. Nach seinem Tod hat seine Witwe das Bild vermutlich zum Epitaph umarbeiten lassen. Die einzige Möglichkeit, an einen Verstorbenen bildlich zu erinnern. Ohne solche Bilder wüssten wir nicht, wie bekannte Lübecker Bürgerinnen und Bürger aussahen, welche Kleidung sie trugen, mit welchen Accessoires sie sich schmückten.

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Hans Kemmer, Porträt des Hans Sonnenschein, 1534 u. früher, St. Annen-Museum Lübeck © St. Annen-Museum,Lübeck, Foto: Michael Haydn

Das wohlhabende Stifterehepaar Timmermann Kruselmann hat Hans Kemmer mit der Anfertigung einer hölzernen Hochzeitsschüssel für die Tochter beauftragt, in der die Brautgaben der Gäste gesammelt werden sollten. Das Exponat ist eine Leihgabe aus Schwerin. Das Paar selbst ließ sich auf einem Gemälde von 1537 von Kemmer betend ganz selbstbewusst im Zentrum des Bildes mit Jesus als Salvator Mundi über ihnen schwebend portraitieren.

Die Liebesgabe ist das einzige weltliche Bild Kemmers. Das Museum hat es erst 2018 aus einer testamentarisch verfügten Spende bei Sothebys ersteigern können. Es zeigt den Kaufmann Johann Wigerinck und seine Braut Agneta Kerckring im Moment des Ringtausches. Die Bildkomposition mit der weiten Landschaft, dem Gebüsch und dem Pferd hinter dem Baum übernahm Kemmer von Cranach. Die Eltern der Braut waren übrigens bekannte Lübecker und Stifter des Kerckring-Flügelaltars, der im Erdgeschoss im St. Annen-Museum zu sehen ist.

Derselbe Johann Wigerinck beauftragte Kemmer um 1529 auch mit dem Gemälde „Christus und die Ehebrecherin“, in dem er sich selbst abbilden ließ – und zwar als Johannes der Evangelist, der direkt hinter Jesus steht und damit auf der fortschrittlichen Seite derer, die die Ehebrecherin nicht steinigen wollen, sondern nach dem Motto „Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein“ für die Sünderin Partei ergreifen.

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Hans Kemmer, Christus und die Ehebrecherin, 1530, St. Annen-Museum, Lübeck © St. Annen-Museum, Lübeck, Foto: Michael Haydn

Mein Lieblingsmotiv der Ausstellung stammt von Cranach. „Christus und Maria“ heißt es und bei meinem Besuch hängt es noch nicht einmal. Es wird in Kürze aus Gotha in Lübeck erwartet. Doch selbst das Foto des auf Pergament gemalten minimalistisch gestalteten Bildes nimmt mich augenblicklich gefangen. Dieser intensive Blick Jesu. Seine Nahbarkeit. Die Frauenfigur ist möglicherweise Maria Magdalena. Und die beiden wirken wie ein Paar. Sie mit einem leicht schräg gehaltenen Kopf. Sie schaut selbstbewusst. Eine revolutionäre Darstellung zu damaliger Zeit.

Kemmer und Cranach interaktiv entdecken

Ein wichtiges Ziel der Ausstellungsmacher:innen ist, einen breiten Besucherkreis anzusprechen. Im Eingangsbereich wird eine kurzweilige Animation Auskunft über die Maler, aber auch wichtige gesellschaftliche und politische Meilensteine jener Zeit geben.

Zudem werden verschiedene Ausstellungsbegleitende Angebote für alle Altersgruppen unterbreitet wie ein kreatives Detektivpaket für Kinder, PC Spiele für Jugendliche und ein interaktiver Stadtspaziergang durch Lübeck zu den Orten und Plätzen, die für einige der wohlhabenden Protagonist:innen der Ausstellung relevant waren. Im Stadtbild werden diese Schauplätze jeweils durch ein rotes „K“ ausgewiesen. Per QR Code lässt sich vor Ort Insider-Wissen abfragen: Wer wohnte vor 500 Jahren wo? Wer kannte wen? Wer hatte welchen Beruf und spielte welche Rolle in der Stadt? Sind es nicht genau diese Fragen, die uns Menschen bis heute interessieren?

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Barbara Schwartz

Kennst du das auch? Du kommst an einer Inschrift, einer Skulptur oder einer Gedenktafel vorbei und musst einfach stehenbleiben, um herauszufinden, was es damit auf sich hat? So geht es mir. IMMER! „Man erblickt nur, was man schon weiß und versteht.“ Ich kann Goethe an dieser Stelle nur hundertprozentig zustimmen. Genau deshalb möchte ich nie aufhören, das nur scheinbar Unwichtige aufzuspüren, Zusammenhänge zu erkennen, Neues zu erfahren und Menschen und ihren Geschichten auf die Spur zu kommen. Okay und zu lange Sätze zu schreiben .. . Und neue Sprachen zu lernen natürlich ...

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