Textile Welten von der Hansezeit bis heute. Sonderausstellung im Europäischen Hansemuseum
Ich hatte das große Glück, vor wenigen Tagen bereits einmal hinter die Kulissen der neuen Sonderausstellung „Guter Stoff“ im Europäischen Hansemuseum blicken zu dürfen, die am 7. Oktober ihre Türen öffnet und bis zum 29. Oktober 2023 zu sehen sein wird. Gemeinsam mit Dr. Angela Huang, der Leiterin der Forschungsstelle für die Geschichte der Hanse und des Ostseeraums (FGHO), konnte ich mich im Burgkloster auf die Spuren des „Guten Stoffs“ machen. Sie und Franziska Evers haben die Ausstellung als Kuratorinnen gemeinsam gestaltet und schauen mitnichten ausschließlich in die Vergangenheit.
Die Ausstellung spannt einen Bogen von der Konsumrevolution des Mittelalters hin zur heutigen Textilindustrie und führt in die Zukunft der Textilbranche.
Färben, spinnen, weben
Dr. Huang ist Historikerin und als solche eine ausgewiesene Expertin für Fragen der Textilproduktion und der Distribution von Stoffen im Spätmittelalter. Sie ist fasziniert von den vielfältigen Beziehungen und Auswirkungen des Fernhandels mit Stoffen. Eine junge Frau, die mit historischen Zahlen, Daten und Fakten jongliert und ungemein lebendig und anschaulich berichtet. Immer schon hat der Handel mit Stoffen und Kleidung Menschen, Gesellschaften und Regionen vernetzt und zum wachsenden Wohlstand vieler Menschen beigetragen. Woll- und Leinenstoffe wurden in wenigen spezialisierten Regionen hergestellt. An der Produktion waren viele Menschen beteiligt.
Im Mittelalter waren u.a. Flandern und England wichtige Zentren der Tuch- und Stoffherstellung. Hansekaufleute hatten einen erheblichen Anteil an der Ausweitung des Handels mit den zur Stoffproduktion notwendigen Rohstoffe und den fertigen Produkten. Wolltücher aus Leiden wurden in ganz Europa verarbeitet und getragen. Tuchsiegel, die an ganz unterschiedlichen Orten gefunden wurden, lassen Rückschlüsse auf die Warenströme zu. Sie dienten auch dazu, Stoffe und deren Herkunft und die Einhaltung von Produktionsvorgaben zu kennzeichnen und Betrug vorzubeugen. In der Ausstellung erfährst du mehr über Tuchsiegel.
Parallel mit dem Rohstoff- und Tuchhandel lief der Austausch von Ideen und Wissen und letztlich von Modetrends. Selbstverständlich wollte jede Frau, jeder Mann von Stand die aktuell angesagten Stoffe und Designs kennen und im eigenen Umfeld zeigen, was man sich leisten konnte. Ich bin seit jeher fasziniert von den Ständeordnungen des Mittelalters.
Man stelle sich vor, dass niemand so einfach für sich entscheiden konnte, welche Kleidung er oder sie tragen mochte. Am Material, an den Schnitten und der Farbe der Kleidung ließ sich erkennen, zu welchem Stand ein Mensch gehörte. Eine Kaufmannsfrau kleidete sich vollkommen anders als die Frau eines Handwerkers.
Sie verfügte nicht über dieselben finanziellen Möglichkeiten, es war ihr aber schlicht auch nicht erlaubt. Die Kleiderordnungen legten fest, wer welche Farben, Verzierungen und welchen Schmuck tragen durfte.
In der Ausstellung „Guter Stoff“ kannst du dir Videos anschauen, wie Menschen im 15. Jahrhundert in ihrer Kleidung aussahen. – jedenfalls soweit wir das heute wissen. Mitglieder des Vereins Hansevolk, e.V., die ihre Gewänder möglichst genau nach historischen Vorbildern selbst schneidern, standen als Protagonist:innen vor der Kamera.
Besonders beindruckend fand ich ein Exponat, das das Archäologische Museum in Gdansk für die Lübecker Ausstellung zur Verfügung gestellt hat. Es handelt sich um ein Oberteil, das einmal ein Kind getragen hat. Man sieht noch heute, dass es grün und am Kragen, an den Knöpfen und den Ärmeln mit einem Seidenband eingefasst war.
Hashtag #whomademyclothes
Es geht in der liebevoll und detailreich gestalteten Ausstellung primär nicht um Mode und dennoch schwingt das Thema immer mit. Schließlich kommunizieren wir über die Kleidung, die wir tragen und bringen unsere Persönlichkeit ebenso wie eine Haltung damit zum Ausdruck. Spannend sind die zahlreichen interaktiven Stationen, an denen du dich mit deinem eigenen Kaufverhalten auseinandersetzen kannst. Wie viele weiße T-Shirts hast du und brauchst du die alle? Weißt du, woher deine Kleidung stammt? Was ist dir Mode wert? Was sind faire Preise? Nimm auf Kleiderballen Platz und beschäftige dich mit Fun Facts. Scanne an den Stellen, die du interessant findest, die QR Codes, um noch mehr zu erfahren.
Vielleicht hast du ja Lust, in einem Buch zu blättern oder in ein Märchen reinzuhören. Ist dir schon einmal aufgefallen, wie häufig Kleidung in Märchen eine Rolle spielt? Des Kaisers neue Kleider. Das tapfere Schneiderlein. Rotkäppchen. Aschenputtel.
Auf keinen Fall darfst du das Lebende Buch in der Ausstellung „Guter Stoff“ verpassen. Es ist ein echtes Highlight, das dir die Reise von Stoffen und Kleidung durch Länder und Regionen näherbringt. Du kannst in ihm nicht nur lesen, sondern aktiv in die Handlung des hansischen Textilhandels eingreifen, hörst Stimmen und Musik und kannst Figuren beobachten, die sich durch die Seiten bewegen.
Gebt uns euren Stoff!
Bereits im Vorweg zur Ausstellung hatte das Europäische Hansemuseum (EHM) dazu aufgerufen, textile Stücke einzusenden, die mit einer besonderen Geschichte verknüpft sind. Mehr als 90 Personen kamen diesem Wunsch nach. Drei der Einsendungen werden in der Ausstellung „Guter Stoff“ gezeigt, darunter ein Hemd, das aus Mehlsäcken genäht wurde, die nach dem zweiten Weltkrieg mit einem CARE-Paket bei der Einsenderin ankamen. Viele der anderen Stücke sollen im Laufe der Ausstellung im begleitenden Blog des EHM vorgestellt werden.
Aus purer Not haben Menschen jahrhundertelang Kleidung getragen bis sie auseinander fiel. Kleidungstücke wurden weitergereicht, umgeändert, neu zusammengenäht. Noch unsere Großeltern trugen ihren Wintermantel viele Jahre hintereinander. Kauften Stücke von solider Qualität vorzugsweise in gedeckten Farben. Hast du nicht auch den Kamelhaarmantel und die sogenannte Übergangsjacke deiner Oma vor Augen?
Das Zukunftslabor
Den Macher:innen der Ausstellung „Guter Stoff“ in Lübeck ist es eine echte Herzensangelegenheit, vielfältige multimediale Angebote zu machen, damit Besucher:innen neue Erkenntnisse mitnehmen können und bestenfalls das eigene Konsumverhalten überdenken ohne dabei mit dem erhobenen Zeigefinder unterwegs zu sein. Aktuell ist die Textilindustrie ja der zweitgrößte globale Umweltverschmutzer.
100 Milliarden neue Kleidungsstücke überschwemmen jährlich den globalen Markt. Da tut Aufklärung wirklich not. Viele Menschen möchten fair und nachhaltig produzierte Kleidung kaufen. Im Future Lab kannst du dir verschiedenen Modelle der Produktion von morgen anschauen. Was tragen wir in Zukunft? Smarte Kleidung aus dem 3-D-Drucker aus nachhaltiger Produktion. Slow Fashion. Im Future Lab ist der Platz zum Diskutieren und Mitmachen. Ein umfassendes Begleitprogramm mit einem Mix aus Vorträgen und Workshops lädt dich z.B. zum Handspinnen, zum Textil-Upcycling oder zum Kleidertausch ein. Jeder Mensch hat eine Meinung zu Kleidung.
Was bedeutet Kleidung dir?
HörTipp!
Auch für unseren Podcast LÜBECK ZWISCHENTÖNE haben wir die neue Ausstellung im Europäischen Hansemuseum besucht! Hör mal rein:
Du hörst einen Snack aus der Gesamtausgabe der Lübeck Zwischentöne.
Die gesamte Folge des Podcasts hörst du auf www.luebeck-zwischenzeilen.de/podcast.