Lübeck in Bewegung – Die 1960er Jahre

Geschrieben am:

von:

Barbara Schwartz

Die 1960er Jahre in Fotografien

von Hans Kripgans

Do more of what you love“ sollte die Devise für jeden einzelnen Lebenstag und nicht nur ein Vorsatz für ein neues Jahr sein. Mich begeistern Geschichte und vor allem die visuelle Zeitgeschichte und die Werke von Berenice Abbot, Brassaï, Doisneau, August Sander oder Steve McCurry. Fotos fangen bedeutende und hoch komplexe historische Entwicklungen oder auch nur einzelne Momente in einem einzigen bleibenden Motiv ein. Meine Leidenschaft gilt der Alltagsfotografie. Was liegt also näher als ein Besuch im Willy-Brandt-Haus Lübeck, einer meiner liebsten Lübecker Kultureinrichtungen. Dort ist nämlich noch bis zum 13. März die Fotoausstellung „Lübeck in Bewegung – Die 1960er Jahre“ zu sehen. Sie präsentiert Aufnahmen des bekannten Fotografen Hans Kripgans, der bis 1975 leitender Fotograf und „Das Auge“ der Lübecker Nachrichten war.

Die Macht der Bilder

In Bewegung! Eine visuelle Reise in die Historie, die doch so viel mehr ist als die bloße Retrospektive. In diesem Fall statte ich meiner eigenen Kindheit einen Besuch ab und schaue zurück in die aufregenden Jahre des Wirtschaftswunders als meine Eltern jung waren. Die Szenen aus dem Alltag der Lübecker:innen zeigen, welche Themen die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland in jenen Jahren bewegten. Manche sind heute immer noch aktuell und nur weil die Bilder schwarzweiß sind, war das Leben es keineswegs.

Lübeck 1960 - Foto-Ausstellung von Hans Kripgans
Tanzschule in den 1960er Jahren, (c) Lübecker Nachrichten / Hans Kripgans

Trau keinem über 30: Kinder & Jugend

Seit Jahrhunderten schon gibt es diesen Gegensatz zwischen „jung“ und „alt“. Schon um 2.000 v.Chr. hieß es in einem Keilschrifttext: „Unsere Jugend ist heruntergekommen und zuchtlos. Die jungen Leute hören nicht mehr auf ihre Eltern. Das Ende der Welt ist nahe“. Keine Ausnahme waren die 1960er Jahre. Die Gesellschaft befand sich in einem raschen kulturellen Wandel, der zu Spannungen zwischen den Generationen führte. Eine veränderte Sexualmoral und das breiteren Massen zur Verfügung stehende Kommunikationsmedium Fernsehen beschleunigten diese Transformation. Mit den Beatles und den Stones kam ein neues prägendes Lebensgefühl auch nach Lübeck. Die Mode war ein optischer Gegenentwurf zur spießigen Bürgerlichkeit: kurze Röcke, Hängerkleidchen, Lederjacken, Schlaghosen. Mutige Designs in Lack, Samt und Cord. (Ähm: ist das nicht gerade wieder megaaktuell: alles kommt wieder..) Eltern fürchteten, ihre Söhne und Töchter könnten als „Gammler“ oder „Rocker“ enden. Man stelle sich vor: Jugendliche trafen sich einfach so zum „chillen“ auf dem Rasen vor dem Holstentor.

Der Muff unter den Talaren: Proteste & demonstRAtionen

Die 1960er waren aus vielen Gründen ein Jahrzehnt des Umbruchs. Ich frage mich: gab es denn jemals Jahrzehnte ohne Umbruch? Prägend für Deutschland und Europa, ja die Machtverhältnisse in der ganzen Welt in den nachfolgenden Jahrzehnten war definitiv der Mauerbau am 13. August 1961. Die Auswirkungen sind bis heute spürbar. Die Ostermärsche haben ihren Anfang in den 1960er Jahren. Auch in Lübeck engagierten sich Bürger:innen generationenübergreifend gegen Atomkraft und Atomwaffen. Geschürt wurde die Angst der Menschen noch durch die Kuba-Krise und den Ost-West-Konflikt. Der Schah-Besuch und der Tod Benno Ohnesorges, das Attentat auf Rudi Dutschke und die Notstandsgesetze trieben vor allem junge Menschen auf die Straßen. Happenings und Sit-Ins für eine Umwälzung der Gesellschaft.

Shop`til you drop: Verkehr & Einkaufen

Lübecks Antlitz veränderte sich. Autos, überall Autos! Es entstanden neue und vor allem breitere Straßen, Parkplätze und Parkhäuser. Brücken wurden gebaut. Darunter die Herrenbrücke, die in der Erinnerung aller Zeitgenoss:innen  just dann hochgeklappt war, wenn man selbst dringend rüberfahren wollte. Übrigens auch eine gern vorgebrachte Ausrede in Fällen von Unpünktlichkeit. Aktuell geht es uns unter dem Leitmotiv „Lübeck Übermorgen“ darum, unsere Mobilität in Lübeck neu zu organisieren. Alternative und nachhaltige Transportmöglichkeiten zu entwickeln, um die Umwelt zu schonen und die Lebensqualität zu erhöhen.

Lübeck 1960 - Foto-Ausstellung von Hans Kripgans
Markt im Juni 1966, (c) Lübecker Nachrichten / Hans Kripgans

Die Lübecker Altstadt mit ihren neuen großen Geschäften wie Karstadt, Kepa, Haerder, Anni Friede und C&A mit ihrem breiten Sortiment und großzügigen Verkaufsflächen entwickelte sich als attraktives Ziel. Mit steigendem Einkommen waren für viele Bundesbürger:innen auch Luxusgüter erschwinglich. Schaufenster waren opulent gestaltet. Man machte sich schick, wenn man in die Stadt fuhr und verband den Einkauf stets mit einem Café-Besuch. Damen behielten dort selbstverständlich ihre Hüte auf.

Zu jedem Motiv lässt sich eine Geschichte erzählen. Der Platz hier reicht nicht aus. Weitere Ausstellungsbereiche widmen sich den Themen „Bauen & Wohnen“ und der Person Willy Brandt, der seiner Geburtsstadt sein Leben lang treu blieb, seine hier lebende Mutter Martha Kuhlmann und den Stiefvater regelmäßíg besuchte, hier politische Weggefährten traf und jeweils zum Abschluss des Wahlkampfes in den Jahren 1961, 1965 und 1969 in Lübeck auftrat. Dem Leben und Wirken Willy Brandts ist die Dauerausstellung im Willy-Brandt-Haus Lübeck gewidmet. Der Eintritt ist kostenfrei.

Deutlich wird in der Kripgans-Ausstellung auf jeden Fall wieder einmal, dass Menschen IMMER der Zukunft zugewandt waren und sind. Jede:r Einzelne ist Teil dieser langen und spannenden Story und mit den Menschen der Vergangenheit und der Zukunft verbunden.

Kennst du Schon diese zwischenzeilen?

4 Gedanken zu „Lübeck in Bewegung – Die 1960er Jahre“

  1. Ein Katalog zur Ausstellung Lübeck in den 1960er Jahren wäre natürlich toll – besonders zum Thema Bauen und Wohnen. Hat das Stadtplanungsamt aktuell dazu etwas veröffentlicht?

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geschrieben von:

Barbara Schwartz

Kennst du das auch? Du kommst an einer Inschrift, einer Skulptur oder einer Gedenktafel vorbei und musst einfach stehenbleiben, um herauszufinden, was es damit auf sich hat? So geht es mir. IMMER! „Man erblickt nur, was man schon weiß und versteht.“ Ich kann Goethe an dieser Stelle nur hundertprozentig zustimmen. Genau deshalb möchte ich nie aufhören, das nur scheinbar Unwichtige aufzuspüren, Zusammenhänge zu erkennen, Neues zu erfahren und Menschen und ihren Geschichten auf die Spur zu kommen. Okay und zu lange Sätze zu schreiben .. . Und neue Sprachen zu lernen natürlich ...

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