„Hello Lübeck – Dialoge mit der Kunsthalle St. Annen“

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Barbara Schwartz

„In den meisten Bühnenstücken fußt der Dialog auf der falschen Annahme, dass die Menschen einander ausreden lassen. Wo gibt es das im Leben?“ Diese Frage stellte sich der österreichische Schriftsteller Alfred Polgar.

Mich beschäftigen diese Gedanken schon sehr lange: Umgeben wir uns nicht meistens mit Menschen, die sehr ähnlich denken? Wo lassen wir uns noch auf ganz andere Meinungen ein? Wo nutzen wir Möglichkeiten, miteinander und mit uns fremden Ideen in Dialog zu treten?

Hello Lübeck?

Wie passend, dass ich für die Lübeck ZWISCHENZEILEN zur Preview der neuen Ausstellung „Hello Lübeck – Dialoge mit der Kunsthalle St. Annen“ eingeladen war. Die Leiterin der Kunsthalle Nora Dirani möchte in dieser ersten von ihr kuratierten Ausstellung die Kunsthalle als Institution öffnen und Hemmschwellen zur Kunst abbauen. Ich war sehr gespannt, wie ich diese Motivation, experimenteller zu arbeiten vor Ort in der St. Annen-Straße 15 in Lübeck erleben würde.

Andreas Angelidakis und „The Beach“

Hello Lübeck - die neue Ausstellung in der Kunsthalle St. Annen

Andreas Angelidakis, der dem breiteren Publikum durch seine Arbeit auf der documenta 14 bekannt ist, hat für das Foyer der Kunsthalle die partizipative Installation „The Beach“ entwickelt, die als Neuerwerbung dauerhaft in Lübeck bleiben wird. 68 Sitzmodule aus Schaumstoff und Vinyl lassen sich zu einer Vielzahl unterschiedlicher Formationen kombinieren. Damit entsteht ein barrierefreier und kostenfrei zugänglicher „Open Space“. In dieser Willkommensszene sieht Angelidakis einen Ort des Übergangs von der Straße – dem öffentlichen Raum – in den Kunstraum. Du bekommst Zeit, erst einmal anzukommen und durchzuatmen.

Der Künstler hat Lübeck in der Vorbereitungsphase als Ort am Wasser erlebt und sich für die Wahl der Farben von Plastikspielzeug und Surf-Equipment entschieden. Inspirieren lassen hat er sich auch von der Blöcke-Welt von Minecraft. In den Dialog mit den Objekten von Angelidakis trittst du bestenfalls mit den Personen, mit du die Ausstellung besuchst. Aber du begegnest zeitversetzt auch den Ideen derer, die die Module zuvor im Raum angeordnet haben. Das Foyer ist ab jetzt ständig in Wandlung begriffen.

Vom genauen Hinschauen

Im Erdgeschoss werden ausgewählte Exponate aus den Sammlungen der Lübecker Museen gattungs- und epochenübergreifend zueinander in Beziehung gestellt. Nicht der kunsthistorische Ansatz steht hier im Vordergrund, sondern das Thema. Du bist in diesem Raum eingeladen, durch aufmerksames Hinschauen das verbindende Element zu suchen.

Die ebenfalls im Erdgeschoss gezeigte Arbeit „Appointed Curators“ des Konzeptkünstlers Ahmet Öğüt weckt direkt mein Interesse. Sie zeigt eine Reihe von Portraits von nominierten Kurator:innen, die alle mit verschränkten Armen dastehen. Nicht offen für den Dialog, fällt mir da spontan ein. Ich sehe die Abwehrhaltung. Oder schützen sich die Portraitierten vor Kritik? Wer entscheidet, was Kunst ist und was in einem Museum gezeigt wird? Nora Dirani versteht das Werk als Hinweis darauf, dass sich Museumsdirektor:innen in ihrem Tun hinterfragen und Transparenz herstellen.

Hello Lübeck - die neue Ausstellung in der Kunsthalle St. Annen

Wir können zusammen leben als Menschen oder zusammen sterben als Narren.

Martin Luther King
Hello Lübeck - die neue Ausstellung in der Kunsthalle St. Annen

Fuse – Verbinde dich

Im Untergeschoss erwartet dich in zwei Räumen die dynamische Licht- und Sound-Installation „Fuse“ der Künstlerin Tatjana Busch. Hier bieten sich dir bei sphärischen Klängen in relativ dunkler Umgebung ein sinnlicher Zugang zur Kunst und der Raum und die Ruhe, um in den Dialog mit dir selbst zu treten. Die dreidimensionalen Objekte hängen an dünnen Schnüren. Das schimmernde Licht wird von den Wänden reflektiert und so wird immer wieder ein anderer Aspekt des Werks hervorgehoben. Fast so, als würden sich die leicht wirkenden Objekte aus Acryl und Aluminium selbst immer wieder neu erfinden.

Hello Lübeck - die neue Ausstellung in der Kunsthalle St. Annen
Hello Lübeck - die neue Ausstellung in der Kunsthalle St. Annen

Geknetete Stadt – ich als Schranke gegen dumme Sprüche

Gemeinsam mit Schüler:innen Lübecker Schulen der Klassenstufen 4 – 7 hat der bekannte deutsche Konzeptkünstler Christian Jankowski für die Kunsthalle gearbeitet. Er lud die jungen Menschen ein, ihre Wünsche für die Stadt von Morgen zu diskutieren und selbst kreativ-künstlerisch tätig zu werden. Die Schüler:innen entwickelten aus ihren Visionen kleine figürliche Skulpturen aus Knetmasse.

Die Knetfiguren zeigen deutlich, mit welchen Ängsten und Hoffnungen junge Menschen heute konfrontiert sind. Die Titel der Knet-Objekte lassen sich an den Wänden ablesen. Hier kommt der neue Fokus der Kunsthalle auf Multiperspektive und Teilhabe besonders gut zur Geltung. Es macht richtig Spaß, den Ideen der kreativen Jugend nachzuspüren. Einen Schrank gegen dumme Sprüche können wir doch wirklich alle brauchen!

Hello Lübeck - die neue Ausstellung in der Kunsthalle St. Annen
Hello Lübeck - die neue Ausstellung in der Kunsthalle St. Annen

Jump up

Drei Exponate kannst du im 1. Obergeschoss betrachten, indem du dich ihnen auf Trampolinen springend näherst. Auch dies ein Beitrag von Ahmet Öğüt. Einerseits steht hier die Freude an der Bewegung im Vordergrund, denn Kunst und Museen sollen Spaß machen. Auch hier: eine neue Perspektive auf Kunstwerke. Im Sprung erreichst du für den Bruchteil einer Sekunde die richtige Höhe, um das Werk näher in Augenschein zu nehmen. Es erschließt sich dir nur in Teilen. Manches bleibt verschlossen. Und du musst dir Mühe geben. Das alles passt wunderbar zum Ausstellungsthema des Miteinanders, des Dialogs.

Hello Lübeck - die neue Ausstellung in der Kunsthalle St. Annen

KiKU – Kinder-Kunsthalle

Ein besonderes Highlight der Ausstellung ist die Kinder-Kunsthalle, die im 2. Obergeschoss erstmals ihre Türen für die jüngsten Museumsgäste öffnet und in Zukunft ein fester Bestandteil aller Ausstellungen in der Kunsthalle St. Annen sein wird. Die Künstler:innen Stephanie Lüning und Benjamin Butter verwandeln die Ausstellungsräume in begehbare und partizipative Kunstwerke und ermöglichen spielerische Herangehensweisen an zeitgenössische Kunst. Aktuell ist der Raum mit dem Titel „Es ist, was es ist“ noch komplett weiß. Wenn du immer schon mal Kunst schaffen wolltest: dies ist deine Chance! Leiste deinen kreativen Beitrag zur Gestaltung des Raumerlebnisses.

Dies sind nur einige Momentaufnahmen, die hoffentlich deine Neugier auf die Ausstellung wecken. „Hello Lübeck  – Dialoge mit der Kunsthalle St. Annen“ öffnet am 3. Dezember die Türen und bleibt uns bis 28. Juli 2024 erhalten. Sie verspricht ein abwechslungsreiches Begleitprogramm mit beispielsweise Kreativworkshops, Yoga und einem Art Dinner

Und noch ein kleine Randnotiz: Für mich gibt es einen weiteren Grund, immer wieder in die Kunsthalle zu gehen. Aus dem Fenster im 2. Obergeschoss hast du einen Blick auf ein Stückchen Lübeck, der sich dir so an keinem anderen Ort bietet.

Hello Lübeck - die neue Ausstellung in der Kunsthalle St. Annen

Übrigens: Für die aktuelle Ausgabe unseres Podcasts Lübeck ZWISCHENTÖNE waren wir ebenfalls vor kurzem vor Ort. Höre hier in das Interview rein.

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Barbara Schwartz

Kennst du das auch? Du kommst an einer Inschrift, einer Skulptur oder einer Gedenktafel vorbei und musst einfach stehenbleiben, um herauszufinden, was es damit auf sich hat? So geht es mir. IMMER! „Man erblickt nur, was man schon weiß und versteht.“ Ich kann Goethe an dieser Stelle nur hundertprozentig zustimmen. Genau deshalb möchte ich nie aufhören, das nur scheinbar Unwichtige aufzuspüren, Zusammenhänge zu erkennen, Neues zu erfahren und Menschen und ihren Geschichten auf die Spur zu kommen. Okay und zu lange Sätze zu schreiben .. . Und neue Sprachen zu lernen natürlich ...

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