Die Lübecker Löwen und das Hotel Stadt Hamburg

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von:

Stefan Gehrhardt

In jeder Stadt von Rang und Namen gibt es mindestens ein Luxushotel. Einen Treffpunkt für die Reichen und Schönen. Als erste Adresse für die Reisenden der Oberschicht, erzählen diese Häuser oft faszinierende Geschichten, die nicht selten eng mit dem Geschick der jeweiligen Stadt verknüpft sind.

Wusstest du, dass es auch in Lübeck einst ein Luxushotel gab – und das schon viel früher als in unseren heutigen Metropolen? Und hast du dich schon einmal gefragt, was es mit den beiden Lübecker Löwen auf sich hat, die heute das Holstentor flankieren? Was das eine mit dem anderen zu tun hat, erfährst du in diesem Artikel unserer Lübeck ZWISCHENZEILEN.

mit innovationen zum Erfolg

Die Rede ist vom „Hotel Stadt Hamburg“. Am Klingenberg gelegen war es einst die feinste Adresse am Platz und auf seinem Höhepunkt das größte Hotel Lübecks. Es vereinte Luxus, Stil und modernste Annehmlichkeiten. Sein Schicksal ist eng mit der neueren Entwicklung unserer Stadt verknüpft. Warum aber dieser Name? Ein Gasthaus nach einer anderen Stadt zu benennen, ist durchaus nicht unüblich und lässt sich mit Sehnsucht und Fernweh erklären oder vielleicht auch dem Heimweh des Besitzers. In Lübeck hatte die Namensgebung einen ganz pragmatischen Grund: 1444 kaufte die Stadt Hamburg für 600 Lübeckische Pfennige das Haus am Klingenberg, damit ihren Abgesandten während der Hansetage eine angemessene Unterkunft zur Verfügung stünde.

Die erstmals 1519 als „Hamburger Herberge“ erwähnte Unterkunft verfügte über einen Weinkeller und machte schon bald von sich reden. Zu den früheren berühmten Gästen zählten Wilhelm von Humboldt und der Dichter Joseph Freiherr von Eichendorff, der in seinem Tagebuch vom kosmopolitischen Flair und dem ausgezeichneten Service schwärmte, für den das Hotel Stadt Hamburg schon damals bekannt war.

Die eigentliche Erfolgsstory begann im Jahre 1817 als Georg Theodor Pflüg das Haus übernahm und fortan unter dem Namen „Hotel Stadt Hamburg“ führte. Gegen den erheblichen Widerstand der Lübecker Unternehmerschaft ließ er in seinem Gasthaus Bäder einrichten. Eine unglaubliche Innovation für die damalige Zeit, denn im beginnenden 19. Jahrhundert war das Baden keine Selbstverständlichkeit. In Gasthäusern bot man Reisenden einen Krug mit Wasser zum Händewaschen und Benetzen des Gesichts. Innovative Hydrotherapien versprachen Heilung durch Wasser. Für einen Gastbetrieb stellten Bäder damals jedoch noch einen untypischen Luxus dar. Die Lübecker Barbiere verklagten den Besitzer wegen unlauterer Konkurrenz, da sie um ihre Kunden fürchteten.

Treffpunkt der REichen und Schönen

Neben diesen modernen Annehmlichkeiten waren die regelmäßigen Dampfschiffverbindungen nach Kopenhagen, Stockholm und St. Petersburg ein wesentlicher Faktor für den Erfolg des Hotels. Lübeck war seit jeher eine Brücke zwischen Nord- und Mitteleuropa gewesen. Das war zur Zeit der Hanse ein entscheidender Standortvorteil und davon profitierte auch der aufkeimende Tourismus. Mit den Dampfschiffen kamen betuchte Reisende aus Nordeuropa. Für den russischen Adel war Travemünde das Tor zum Kontinent und ein Zwischenstopp auf dem Weg in die Schweiz oder nach Frankreich. Die Gästeliste des „Hotel Stadt Hamburg“ liest sich wie das Who is Who der damaligen europäischen Oberschicht.

Zu den bekanntesten Besuchern des „Hotel Stadt Hamburg“ zählten die Komponisten Carl Maria von Weber und Richard Wagner sowie die Pianistin Clara Schumann – damals noch unter dem Namen Wieck. Der einflussreiche Unternehmer Werner von Siemens feierte hier mit seiner Familie. Kronprinz Friedrich III. und seine Gattin Kronprinzessin Victoria von Preußen reisten im Extrazug aus Hamburg an. Prinz Napoleon III. legte in seiner Yacht „Jerôme Napoleon“ im Hamburger Hafen an und kam zum Frühstück ins „Hotel Stadt Hamburg“. Der Autor Stefan Zweig verbrachte hier eine gemeinsame Nacht mit seiner zukünftigen Frau Friederike von Winternitz.

Der russische Komponist Pjotr Iljitsch Tschaikowski schrieb in sein Tagebuch:

„O Gott, welches Glück! Es tut mir so wohl, in einer fremden Stadt, in einem wunderschönen Hotel zu sitzen und volle fünf Tage Ruhe zu haben.“

James Edward Marston beschrieb das „Hotel Stadt Hamburg“ bereits 1833 als „eins der Besten im nördlichen Deutschland.“ Der einflussreiche Baedeker-Reiseführer – der Tripadvisor des 19. Jahrhunderts – führte das Haus ab 1864. Das Geschäft florierte und das Hotel wurde durch Zukauf und Anbauten stetig vergrößert. Die prächtige Fassade zum Klingenberg wurde durch einen von Säulen getragenen Balkon ergänzt. Eine breite Freitreppe führte hinauf ins Foyer.

Die damalige Werbung versprach komfortable Einzel- und Doppelzimmer mit fließend kaltem und warmem Wasser, Bade- und Duschgelegenheiten. Ein solches Hotel war niemals nur eine Übernachtungsgelegenheit, sondern immer auch ein Treffpunkt der oberen Zehntausend. Dafür bot das „Hotel Stadt Hamburg“ ein edles Weinrestaurant, eine Bar (zeitweise sogar als „American Bar“ umworben) und einen Hotelgarten. An den Wochenenden fanden regelmäßig Tanzveranstaltungen statt. Illustre Gesellschaften trafen sich in den festlichen Räumlichkeiten des Hotels – Schauplatz unzähliger Veranstaltungen, von rauschenden Hochzeitsbällen bis zu Ereignissen nationaler Bedeutung, wie der königlichen Mittagstafel anlässlich des Kaisermanövers im Jahre 1904. Es gab einen Stall für Pferde, eine verschließbare Remise für die ersten Automobile, Lift, Telefonanschluss und Fernsprecher.

Wie die Löwen nach Lübeck gelangten…

Wann betreten nun endlich die Lübecker Löwen diese Bühne? Unsere beiden heute so bekannten Wächter des Holstentors werden dem Bildhauer Christian Daniel Rauch zugeschrieben. Sie wurden 1822/23 in der Königlich-Preußischen Eisengießerei im oberschlesischen Gleiwitz gegossen. Es sind jedoch keine Unikate. Der schlafende Löwe wurde für das Grabmal des 1813 verstorbenen Generals von Scharnhorst geschaffen. Du kannst ihn noch heute auf dem Berliner Invalidenfriedhof besichtigen. Der wache Löwe beherrscht noch heute den Garten der Villa Caro im polnischen Gliwicze.

Unsere beiden Lübecker Löwen wurden vom Lübecker Konsul Johann Daniel Jacobj aus dem Katalog der Königlich-Preußischen Eisengießerei bestellt. Jacobj war das Oberhaupt einer Lübecker Kaufmannsfamilie und die Löwen ein Geschenk an seine Frau. Seit 1840 hielten sie Wache vor seinem Haus in der Großen Petersgrube 19. (Hier kannst Du mehr über diese faszinierende Straße der Lübecker Altstadt lesen)

Nach einigen Jahrzehnten veränderten Straßen- und Kanalarbeiten das Gesicht der Petersgrube. Die Löwen mussten weichen und wurden an Carl Töpfers verkauft, der inzwischen Besitzer und Direktor des „Hotel Stadt Hamburg“ geworden war. So fanden sie einen neuen, angemessenen Platz und hielten Einzug in die Lübecker Stadtgeschichte. Ab 1873 flankierten sie die große Freitreppe des noblen Hotels – der eine schlafend, der andere mit wachsamem Blick über den damaligen Klingenberg.

Das „Hotel Stadt Hamburg“ wurde auch in der Literatur verewigt. Als Thomas Mann im Jahre 1899 aus der Schweiz ins dänische Aalsgaard reiste, übernachtete er bei einem Zwischenstopp in seiner Heimatstadt im Hotel Stadt Hamburg. Diese Reise inspirierte ihn zu seiner Novelle „Tonio Kröger“, in der er selbst das berühmte Hotel empfiehlt:

„Gehn Sie nach Sdadt Hamburg.“ heißt es da. „Sdadt Hamburg wird gut geführt. Kost‘t Sie‘n bischen was, ja, geb‘ ich zu, aber Sie haben was für Ihr Geld. Gute Küche, gute Weine. Ich empfehl‘ Ihnen Sdadt Hamburg.“

Der Empfehlung folgend kehrt der Protagonist im „Hotel Stadt Hamburg“ ein und während er vor dem Haupteingang noch zögert, erklärt der Erzähler: „Da war das Hotel, und da waren die beiden schwarzen Löwen, die davor lagen und vor denen er sich als Kind gefürchtet hatte.“

jedes Ende ist auch ein neuer Anfang

Das „Hotel Stadt Hamburg“ war eine Erfolgstory. Seine Anfänge reichten zurück in die goldene Zeit der Hanse. Sein Ende fand es, wie so vieles andere, in der Nacht zum Palmsonntag des Jahres 1942. Der Feuersturm des Luftangriffs veränderte die Stadt für immer. Die vielfach gepriesene zentrale Lage wurde dem Hotel zum Verhängnis – es wurde dem Erdboden gleich gemacht. Am Palmsonntagmorgen ragte nur noch der Vorbau aus den Trümmern: der Balkon, getragen von Säulen mit korinthischen Kapitälchen und – wie durch ein Wunder – die beiden Löwen.

Während des Wiederaufbaus verschwanden sie für einige Jahre aus dem Licht der Öffentlichkeit in die Obhut der Lübecker Bauverwaltung. Erst 1957 fanden die beiden gusseisernen Löwen ihren heutigen Platz. Dort flankieren sie wie zwei Wächter das Holstentor und begrüßen alle Reisende, die unsere Stadt per Bahn oder Fernbus erreichen. Ihr ursprünglicher Besitzer, Konsul Johann Daniel Jakobj, wäre vermutlich stolz auf die repräsentative Funktion seiner Löwen. Er hatte sich zu seinen Lebzeiten stark für die Interessen unserer Stadt engagiert. Der Anschluss Lübecks an das im 19. Jahrhundert neu entstehende Bahnnetz war eine seiner Herzensangelegenheiten gewesen.

Die Geschichte des „Hotel Stadt Hamburg“ endete in jener verhängnisvollen Bombennacht im Jahr 1942. Unsere Stadt dagegen ist aus ihren Trümmern auferstanden wie der Vogel Phoenix. Vielleicht ist sie heute schöner als sie es je gewesen ist. Dass unsere beiden Löwen die Bomben überlebten, können wir fast metaphorisch sehen. Ihre Beförderung vom Wachposten des Hotel Stadt Hamburgs zu Botschaftern unserer Stadt ist ein bedeutender Karriereschub. Jeden Morgen gehe ich an ihnen vorbei. Welche schillernden Persönlichkeiten der Geschichten sie schon haben passieren lassen! Wem haben sie wohl Zutritt zu unserer Stadt gewährt? Vom Berufspendler in der rush hour, von spielenden Kindern, die auf ihren Rücken reiten, bis hin zu Staatsgästen.

Versuche doch einmal, es aus ihrem unergründlichen Blick herauszulesen. Flüstere ihnen ins Ohr, wen du gern einmal in Lübeck auf einen Plausch treffen würdest. Nach all dem, was ihnen widerfahren ist, fällt es mir schwer, unsere Löwen nicht als Glücksbringer zu sehen.

Dieser Artikel basiert auf einem bisher unveröffentlichten Buch von Guido Weinberger, das ausschließlich in digitaler Form vorliegt. Die meisten der hier abgebildeten Illustrationen stammen daraus. Es enthält viele weitere historische Details und spannende Anekdoten. Wenn dich die Geschichte des „Hotel Stadt Hamburg“ interessiert und du mehr darüber erfahren willst, dann melde dich direkt bei Guido Weinberger: gweinbergerde@yahoo.de.

Die Lübecker Löwen

Kennst du Schon diese zwischenzeilen?

2 Gedanken zu „Die Lübecker Löwen und das Hotel Stadt Hamburg“

  1. Danke für eure/deine wunderbaren Recherchen und Beschreibungen der großartigen
    lukullischen und anderen Schätze Lübecks. Ich war lange nicht mehr im Weltladen und die faire gehandelte Liubice-Schoko wird zügist gekauft u probiert!!
    Wie traurig war ich, als die kleine Depandance der Lübecker BioBäckerin in der
    Hüxstraße schließen musste u es später auch in der Moislinger Allee 69 Bio-Kuchen – vor allem die Florentiener – nicht mehr gab.
    Also auf zum Lorenz Cafe und das Abessa aus-probieren!
    Danke, die „Zwischenzeilen“ werde ich an meine Tochter weiter-mailen.

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  2. Liebe Anna,

    vielen Dank für deine nette Antwort, dein Feedback und Weiterempfehlung. Es macht uns viel Spaß, über unsere Stadt zu schreiben und ihre unzähligen kleineren und größeren Geheimnisse und Eigenarten ins Licht der Aufmerksamkeit zu rücken. Ein Feedback wie Deins ist für uns eine große Motivation. Ich leite deine Zeilen weiter an Barbara, denn aus ihrer Feder stammen die meisten Artikel, auf die du dich beziehst.

    Viel Spaß bei deinen weiteren Entdeckungstouren!:)

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geschrieben von:

Stefan Gehrhardt

Aufgewachsen an der Ostseeküste, bin ich 2021 nach Lübeck – und damit zurück nach Norddeutschland gezogen. Dazwischen lagen Stationen in unter anderem Island, Schweden und Berlin. An meiner neuen hanseatischen Heimat reizt mich besonders die einzigartige Kombination von Geschichte, Kultur und Natur. Mit dem frischen Blick des neu Hinzugezogenen entdecke ich regelmäßig Neues. Ganz besonders spannend finde ich die vielen – nicht nur geschichtlichen – Parallelen zu meiner skandinavischen Wahlheimat.

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