Lübecks Orte des Gedenkens

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Lübeck Team

Spuren des Zweiten Weltkriegs

Ich bin Katy und nehme ich dich hier in den ZWISCHENZEILEN auf einen sehr besonderen Streifzug des Gedenkens durch Lübeck mit. Als Britin in Deutschland wurde mir gegenüber häufig Basil Fawltys (bekannt aus der britischen TV-Kultserie Fawlty Towers) berühmt-berüchtigter Satz zitiert: „Erwähnen Sie nicht den Krieg!“ Es scheint eine Art unausgesprochene Regel in den Köpfen britischer Menschen zu sein, wenn sie nach Deutschland reisen. Doch dann kommt ein erleichtertes Seufzen, wenn ich sie am Counter in der Tourist-Information berate und sie feststellen, dass sie gerade nicht mit einer Deutschen, sondern mit einer Landsfrau sprechen.

Tatsächlich werde ich sehr oft von Tourist:innen nach Sehenswürdigkeiten in Lübeck gefragt, die mit dem Krieg in Verbindung stehen. Viele gehen davon aus, dass das Thema tabu und dass von dieser „unsäglichen“ Vergangenheit keine Spur mehr übrig sei. Immerhin jährt sich 2025 das Ende des Krieges zum 80. Mal. Aber der Witz aus der Kultserie von 1975 könnte im heutigen Deutschland nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein.

In den 1930er und 1940er Jahren befand sich Lübeck in den Fängen einer Diktatur. Die Stadt erlebte einen Bombenangriff, bei dem mehr als 20 Prozent der Stadt zerstört wurden und 301 Personen ums Leben kamen. Hinzu kam die tragische Vertreibung und Zwangsmigration von mehr als 700 jüdischen Bürger:innen und die Verfolgung zahlreicher weiterer Minderheiten. Die Stadt, die einst eine linksgerichtete Hochburg war, wurde mit Hakenkreuzen dekoriert und Gebäude wurden umfunktioniert, um der neuen Nazi-Agenda zu entsprechen.

Sogar das Holstentor wurde in ein Militärmuseum umgewandelt, um die nationalsozialistischen Ideale zu propagieren. Es diente als zentraler Punkt für eine Reihe von Veranstaltungen und Feiern. Nach dem Bombenangriff der Alliierten in der Nacht des 28. März 1942 und einem jahrelangen, letztlich verlorenen Kampf wurde Lübeck (und Deutschland insgesamt) verwüstet, gebrochen und vernarbt zurückgelassen.

Es brauchte Jahre des Erinnerns, des Gedenkens, des Bedauerns und des Wiederaufbaus bevor Lübeck als neue Stadt in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts eintreten konnte. Eine, die vielen Menschen Zuflucht bietet, ihren hanseatischen Charme wiedererlangt hat und von der UNESCO zum Welterbe ernannt wurde – das erste Mal, dass eine komplette Altstadt unter Schutz gestellt wurde.

Wer sich seiner Vergangenheit nicht erinnert, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.

George Santayana

Angesichts eines solch dunklen Flecks in der deutschen Geschichte haben es sich Viele zur Aufgabe gemacht, die Schwierigkeiten der Vergangenheit anzugehen und sich mit dem Geschehenen auseinanderzusetzen. Im Lübecker Kulturbüro gibt es ein engagiertes Team für Erinnerungskultur, das sich genau dieser Aufgabe widmet. Und dieses Team ist nicht allein! Zahlreiche Unternehmen, Wohlfahrtsverbände, Museen, Kulturschaffende und Initiativen leisten einen aktiven Beitrag zum öffentlichen Erinnerungsraum. Die Geschichte ist in Lübeck präsent und wartet darauf, entdeckt zu werden. Hier sind also ein paar Tipps, wo du deine Reise in Lübecks dunkelstes Kapitel beginnen kannst.

Vor den Augen Aller Gedenkstätte

Orte des Gedenkens in Lübeck. Auf Spurensuche der Erinnerungskultur

Wenn du in Lübeck am Hauptbahnhof ankommst, bietet sich bereits die erste Gelegenheit, um derer zu gedenken, die im Holocaust ihr Leben verloren haben. Die Gedenkstätte Vor den Augen aller, geschaffen von Ute-Friederike Jürß, besteht aus drei Fahnen, die vor dem Haupteingang des Bahnhofs wehen. Sie wurden dort 2013 gehisst und werden seitdem regelmäßig ausgetauscht, passend zu den Daten der Geschichte der Massendeportation. Die Zitate auf den beiden äußeren Fahnen stammen aus Abschiedsbriefen oder Tagebucheinträgen zwangsdeportierter Menschen. Das Mahnmal soll die Vorbeigehenden an die schreckliche Geschichte des Ortes erinnern. Weitere Informationen dazu und auch Fotos der verschiedenen Fahnen findest du hier.

Todesmarsch-Denkmal

Orte des Gedenkens in Lübeck. Auf Spurensuche der Erinnerungskultur

Du wirst dir wahrscheinlich das Holstentor anschauen, es ist ein Muss bei einem Lübeck-Besuch. Aber auch das Burgtor sollte auf der Liste der Sehenswürdigkeiten stehen! Wenn du durch das Burgtor und weiter über die Brücke und den folgenden Zebrastreifen gehst, findest du eine weitere Gedenkstätte, die ich sehr sehenswert finde.

Dies ist ein weißes Mahnmal, bei dem im ersten Moment nicht ganz klar wird, was es darstellen soll. Es ist eines von 12 ähnlichen Denkmälern, die zwischen Lübeck und Neustadt in Holstein aufgestellt wurden und die an die Todesmärsche gegen Ende des Krieges erinnern. 500 Opfer wurden aus den Konzentrationslagern Auschwitz und Mittelbau-Dora zwangsweise durch Lübeck transportiert. Viele kamen in Lastkähnen an und wurden dann gezwungen, nach Ahrensbök und später nach Neustadt weiterzumarschieren. Die meisten Opfer überlebten diese Tortur nicht, und von denen, die sie überlebten, kamen viele später bei der unglückseligen Cap Arcona-Katastrophe ums Leben.

Ich finde nicht nur den künstlerischen Wert dieser Gedenkstätte interessant, sondern auch die Art und Weise, wie der Ort, an dem sie sich befindet, das Interesse weckt und dazu auffordert, sich an die Menschen vor uns zu erinnern, während du deinen ganz normalen täglichen Beschäftigungen nachgehst.

Stolpersteine

Orte des Gedenkens in Lübeck. Auf Spurensuche der Erinnerungskultur

Wenn du in Lübeck unterwegs bist, solltest du nicht nur nach oben schauen! Wenn du das tust, verpasst du nämlich einen weiteren wichtigen Aspekt des Holocaust-Gedenkens. In die Gehwege sind an vielen Stellen in der Stadt kleine Stolpersteine eingelassen.

Diese Initiative wurde ursprünglich von dem Künstler Gunter Demnig ins Leben gerufen und dient dem Gedenken an die Opfer des Nazi-Regimes in ganz Europa. Der Stein wird bewusst vor dem letzten Wohnort des Opfers aufgestellt und enthält Informationen wie Name, Geburtsdatum und Schicksal. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels gibt es in Lübeck 251 solcher Steine. In der Umgebung der Synagoge (St.-Annen-Straße und Schildstraße) gibt es 18 dieser Gedenktafeln, auf denen die Schicksale ganzer Familien verzeichnet sind. Lübeck hat auch einige Steine für Opfer, die nicht ermordet wurden, zum Beispiel die von Dina, Elias und Kurt Wiener, denen die Flucht nach Südafrika gelang.

Um die Suche nach den Steinen zu erleichtern, gibt es eine App namens Stolpersteine Digital. Es ist ein großartiges kleines Tool, das nicht nur dabei hilft, die Steine zu finden, sondern auch mehr über die Menschen zu erfahren, denen sie gewidmet sind. Hier findest du nähere Infos dazu.

Die Glocken von St. Marien

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In der Nacht des 28. März und in den frühen Morgenstunden des. 29. März 1942 wurde Lübeck als erste „zivile“ Stadt in Deutschland von den Alliierten schwer bombardiert. Innerhalb einer Nacht wurden 400 Tonnen Bomben auf die Hansestadt abgeworfen, die sie völlig zerstörten. Über 300 Menschen verloren ihr Leben und 1.468 Gebäude wurden vollständig zerstört.

Wenn du heute durch die Straßen Lübecks spazierst, ist es schwer zu glauben, dass die wunderschöne Altstadt jemals einem Bombenangriff ausgesetzt war. Das denkst du vielleicht bis du die Marienkirche im Zentrum der Altstadt besucht hast. Die Kirche wurde damals schwer beschädigt. Das Dach und ein Teil der Gewölbe stürzten ein und der Innenraum wurde durch Feuer zerstört. Da die Türme der Zerstörung nicht standhalten konnten, stürzten sie ein und mit ihnen prallten die Glocken auf den Boden. Dort sind sie bis heute liegengeblieben, eingefroren in einem Moment der Zeit. Den Besucher:innen der Kirche dienen sie nun als Mahnung an die Schrecken von Krieg und Gewalt. Um deinen Besuch zu planen, empfehle ich dir die Website von St. Marien.

Denkmäler in der Parade

Orte des Gedenkens in Lübeck. Auf Spurensuche der Erinnerungskultur

Wenn du bei deinem Spaziergang durch Lübeck in der Nähe des Doms angelangst, solltest du unbedingt die Gelegenheit nutzen, dir diesen Ort des Gedenkens in der Nähe anzusehen. In der Parade 12 befindet sich ein zweiteiliges Mahnmal, das denjenigen gewidmet ist, die aus politischen, religiösen und rassischen Gründen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zum Opfer fielen. Das Mahnmal gibt es an dieser Stelle seit 1986. Es ist besonders ergreifend, da sich an diesem Ort die ehemalige Polizeistation und das Hauptquartier der Gestapo befanden. Die Gedenktafel lädt dich dazu ein, sich an die Geschichte derer zu erinnern, die an diesen Ort gebracht wurden. Ein Ort des Schreckens für Viele.

Wenn du vor der Gedenkstätte stehst, wirf einen Blick nach rechts. Du wirst sehen, dass das ursprüngliche Denkmal später erweitert wurde. Es erinnerte zunächst zwar an eine Reihe von Opfern, aber nicht an alle. Es fehlte in Lübeck eindeutig ein Ort, der auch jener Menschen gedenkt, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verfolgt wurden. Einen solchen Ort gab es nicht, trotz aller Fakten, die uns über die Verfolgung bekannt sind. Zum Beispiel, dass am. 23. Januar 1937 230 Männer in Lübeck verhaftet und an diesen Ort gebracht wurden, wo sie verhört und gefoltert wurden. Danach folgten Prozesse, Gefängnisstrafen und die Deportation in Konzentrationslager. Es war daher nur richtig, dass die zusätzliche Gedenktafel 2016 auf Initiative des Lübecker CSD e.V. enthüllt wurde. Lübeck würde niemals eine Gruppe von Opfern absichtlich vernachlässigen wollen.

Das Lübecker Märtyrer-Denkmal

Orte des Gedenkens in Lübeck. Auf Spurensuche der Erinnerungskultur

Von der Gedenkstätte an der Parade sind es nur ein paar Schritte bis zur nächsten Station. Lübeck hat zwar kein Museum, das sich speziell mit dem Zweiten Weltkrieg befasst, aber in der Herz-Jesu-Kirche an der Parade 4 befindet sich ein Denkmal für die Lübecker Märtyrer. Diese vier Männer, Eduard Müller, Hermann Lange, Johannes Prassek und Karl Friedrich Stellbrink, predigten mutig gegen die Nazi-Propaganda. Prassek, Lange und Müller arbeiteten alle für die katholische Herz-Jesu-Kirche und wohnten sogar auf dem Gelände, während Stellbrink Pastor der lutherischen Kirche in Lübeck war. 1942 wurden die vier wegen ihrer staatsfeindlichen Überzeugungen verhaftet und zum Tode verurteilt. Sie wurden in das Hamburger Gefängnis Holstenglacis gebracht und am 10. November 1943 durch die Guillotine hingerichtet.

In diesen Ort des Gedenkens erfährst du mehr über diese großartigen Menschen und über Lübeck während der Nazi-Diktatur. Die Informationstafeln haben QR-Codes, die vertiefende Informationen bieten. Ich persönlich finde, dass die Gedenkstätte nicht nur ein fantastischer Ort zum Lernen ist, sondern angesichts der Lage der Kirche auch eine tiefere emotionale und spirituelle Verbindung zu den Märtyrern ermöglicht. Wenn du nicht viel Zeit hast, kannst du die meisten Informationen der Gedenkstätte auch hier online abrufen .

Ehemaliger Luftschutzbunker

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In Lübeck gibt es einige Beispiele für ehemalige Luftschutzbunker, von denen einige trotz wechselnder Nutzung immer noch ihrem früheren Aussehen ähneln. Es gibt jedoch einen Bunker, der mich schon immer fasziniert hat. Das liegt vor allem daran, dass ich viele Jahre lang daran vorbeigelaufen bin und keine Ahnung hatte, dass es sich tatsächlich um einen Bunker handelt. Ich spreche von dem Gebäude An d. Obertrave 19. Ich wusste nicht, welchem Zweck das Gebäude früher diente, da es sich so schön in die Umgebung einfügt. Genau das war der Plan der Architekten, die ihn gebaut haben. Es ist einer von nur 20 Hochbunkern, die in dieser Zeit gebaut wurden. Er steht auf einem ehemaligen verfallenen Arkadengebäude. Er wurde zwischen 1940 und 1941 erbaut und diente auch während des Kalten Krieges als Luftschutzbunker. Das Gebäude ist als Kulturdenkmal von historischer und städtebaulicher Bedeutung geschützt und wird daher hoffentlich noch viele Jahre lang Passant:innen überraschen.

Gestapo-Zellen

Es gibt einen weiteren Ort in Lübeck, der hoffentlich in Zukunft eine wichtige Rolle in der Erinnerungslandschaft spielen wird. Hast du das Mahnmal an der Parade zu besucht? Im Zeughaus neben dem Mahnmal befinden sich tief im Keller die ursprünglichen Gestapo-Zellen. Diese Zellen wurden von der Geheimpolizei während der Nazi-Zeit benutzt, um Menschen zu verhören und zu foltern.

Von diesem ehemaligen Ort des Grauens ist nur noch wenig übrig, außer den Zellen im Keller. Sie sind unverändert geblieben und erinnern an den Schrecken, der sich einst in diesem Gebäude abspielte. Leider sind die Zellen derzeit nicht für die Öffentlichkeit zugänglich und können nur bei besonderen Veranstaltungen besichtigt werden. Es gibt jedoch Initiativen in Lübeck, die sich für die Öffnung der Zellen als Ort der Erinnerung und der Bildung einsetzen. Derzeit wird darüber diskutiert, was dafür nötig ist und wie das Gebäude gestaltet werden kann. Es gibt keine ’schnellen Lösungen‘, aber es gibt kaum Zweifel am pädagogischen Wert der Zellen. Vielleicht verfolgst du die weitere Entwicklung und erfährst, dass hier in den nächsten Jahren in Lübeck ein ’neuer‘ Ort der Erinnerung entsteht. Auf dieser Website kannst du Informationen abrufen und auch einige Bilder anschauen.

Die wachsende Szene des kollektiven Gedächtnisses in Lübeck zeigt, dass dieses Thema immer noch in unseren Köpfen präsent ist. Die Stadt hat sich das berühmte Zitat von George Santayana eindeutig zu Herzen genommen und sich vorgenommen, dafür zu sorgen, dass eine solch grausame Geschichte nie wieder passiert. Lübeck ist nach wie vor eine Stadt, die sich zwar respektvoll an die Vergangenheit erinnert, sie aber auch nutzt, um die Zukunft zu beeinflussen. Schließlich leben die Worte, die auf dem Holstentor eingraviert sind – Concordia domi foris pax (Harmonie im Innern, Frieden nach außen) – als Motto weiter, das die vergangenen und gegenwärtigen Hoffnungen und Träume Lübecks wahrhaftig repräsentiert.

luebeck holstentor eingang


2 Gedanken zu „Lübecks Orte des Gedenkens“

  1. Ein wirklich guter Bericht über diese böse Zeit in unserer schönen Welterbeperle.
    Leider bin ich im Englischen nicht so fit. Habe mir den Text ins Deutsche übersetzen lassen 😉
    Je nach den Wünschen meiner Gäste lasse ich das ein oder andere dieser Thematik auch bei meinen besonderen Stadttouren mit einfließen. Ansonsten entführe ich meine Gäste mit Geschichten aus der Geschichte eher ins lebendige Mittelalter Lübecks.
    Euer etwas anderer Stadtführer Lübecks
    Axel Schattschneider

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