Overbeck-Gesellschaft Lübeck

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von:

Barbara Schwartz

Wiederentdeckung einer Kulturinstitution

Seit Herbst 2024 hat die renommierte Overbeck-Gesellschaft in der Königstraße 11 in Lübeck mit Paula Kommoss eine neue Direktorin. Das kulturelle Leben unserer Stadt hat mit ihrem Start einen wahren Schatz zurückgewonnen. Ich habe mich für die Lübeck ZWISCHENZEILEN mit Paula Kommoss verabredet, um mehr von ihr zu erfahren, Hintergrundinformationen zur aktuellen Ausstellung „Half Frame“ zu recherchieren und gemeinsam einen Blick auf ihre Pläne für die Weiterentwicklung der Overbeck-Gesellschaft zu werfen, die sich satzungsgemäß der „Pflege der bildenden Kunst, insbesondere durch Veranstaltung von Kunstausstellungen“ widmet.

Der Overbeck-Pavillon

Das elegante weiße Gebäude, in dem das Wirken der Overbeck-Gesellschaft bereits seit 1930 sichtbar wird, liegt etwas abseits im Garten des Museums Behnhaus/Drägerhaus. Diese Lage macht für mich einen Teil des Zaubers dieser Kultureinrichtung aus. Denn der Pavillon überrascht mit seinem strahlenden Weiß und seiner klaren Formensprache.

Der Stil des „Neuen Bauens“ war eine Strömung der Moderne. Der vom Lübecker Architekten Wilhelm Bräck entworfene Overbeck-Pavillon ist eines der wenigen Beispiele dieser avangardistischen Bauweise in Schleswig-Holstein. Mit jeder Jahreszeit wechselt seine Wirkung, immer zieht er den Blick auf sich. Ich mag diese Schlichtheit der Architektur im geometrisch angelegten Garten, die sich zurücknimmt und der jeweiligen Ausstellung den ihr gebührenden Raum gibt. Ansätze, die sich die neue Museumsdirektorin zunutze macht. Denn ihr ist wichtig, was der jeweilig Ort mitbringt – und was sich daraus entwickeln lässt.

Paula Kommoss – Eine neue Perspektive

Paula bringt nicht nur internationale Erfahrung, sondern vor allem eine spürbare Lust auf Veränderung mit. Stationen in Kassel, Venedig, Frankfurt, zuletzt die Biennale in Freiburg: Ihre Vita liest sich wie ein Stadtplan des künstlerischen Aufbruchs. Jetzt also Lübeck.

Im Gespräch erlebe ich eine Frau mit einer klaren Haltung, die vor Ideen nur so sprudelt. Ihr zuzuhören ist ein wahrer Genuss.

Sie will die Türen der Overbeck-Gesellschaft weiter öffnen – für neue Stimmen, jüngere Besucher:innen, andere Perspektiven. Sie denkt Kunst nicht als abgeschlossene Erzählung, sondern als offenes Gespräch. Ihre bisherigen Ausstellungen kreisen um gesellschaftliche Fragen, lassen Musik und Sprache, Sound und Stille miteinander in Dialog treten.

Was unter ihrer Leitung entsteht, ist kein „Programm“, sondern ein Prozess. Lokale, interdisziplinär gedachte Themen bettet sie in einen internationalen Kontext ein. Paula Kommoss ist mit ihrem sprühenden Geist geradezu ein Geschenk für die Lübecker Kulturszene.

Daphne – eine Figur des Wandels

Die Plastik der Daphne spielt in der ersten Ausstellung unter Paula Kommoss’ Leitung eine wesentliche Rolle. Daphne steht im Hof vor dem Eingang zum Overbeck-Pavillon. Sie hält den Blick leicht nach unten geneigt, ihre Augen sind geschlossen, als hätte sie sich von der Welt zurückgezogen. Der Körper ruht still in sich. Die Darstellung ist zurückhaltend, fast scheu. Und doch ist Daphne da. Ganz da. Eine Figur im Moment der Verwandlung – eingefangen in Bronze.

Ich war von jeher fasziniert von dieser eleganten Skulptur. Bei jedem Besuch habe ich sie fotografiert und spürte die beeindruckende Präsenz der Daphne. Es handelt sich um eine Arbeit der Berliner Künstlerin Reneé Sintenis. Der damalige Lübecker Museumsdirektor Carl Georg Heise, eine zentrale Figur der Lübecker Kunstszene der Nachkriegszeit, brachte sie in die Sammlung. Heise, ein stiller Ermöglicher moderner Kunst, war überzeugt:

Kunst darf herausfordern. Sie darf Fragen stellen, ohne Antworten zu liefern.

In Sintenis fand er eine Künstlerin, die genau das tat. Ihre Daphne zeigt keine dramatische Geste, sondern einen stillen Widerstand. Kein Opfer, kein Pathos – sondern ein Innehalten.

Daphne – die Nymphe aus der griechischen Mythologie, die sich dem Zugriff des Apoll entzog, indem sie sich in einen Lorbeerbaum verwandelte, steht nicht für Drama, sondern für Stille. Für den Moment, in dem ein Rückzug zur Form des Widerstands wird. Und vielleicht auch für das, was Kunst vermag: das Nicht-Sichtbare spürbar zu machen.

Half Frame – sehen im Übergang

Die aktuelle Ausstellung bringt diese Gedanken eindrucksvoll in Bewegung. Gestaltet hat sie die zyprische Künstlerin Maria Toumazou. Im Overbeck-Pavillon steht eine Camera Obscura. Durch eine winzige Öffnung fällt das Außenlicht in den Innenraum – das Bild der Daphne draußen vor dem Gebäude wird im Laufe von acht Stunden langsam ins Innere gezogen. Und dann erscheint das Motiv: Alles steht Kopf. Alles ist da. Und gleichzeitig nicht greifbar.

Der Ausstellungstitel Half Frame verweist auf ein fotografisches Verfahren der 1950er- und 60er-Jahre: ein Filmformat, das die Darstellung doppelt so vieler Motive auf einem Streifen ermöglichte – verdichtete Zeit, fragmentierte Wahrnehmung. Paula Kommoss interessiert sich genau für diesen Widerspruch: den Wunsch, den Moment festzuhalten, obwohl er schon verflogen ist. Und für die Frage, wie wir heute dem Bild überhaupt noch begegnen. Was die zunehmende Schnelligkeit visueller Impulse, denen wir täglich bewusst oder unbewusst ausgesetzt sind, in uns auslöst.

Vielleicht ist es dieser leise Gleichklang zwischen der Skulptur im Hof und der Ausstellung im Inneren, der die Ausrichtung der künstlerischen Arbeit so besonders macht: Hier wird nicht ausgestellt, hier wird gesucht. Und manchmal reicht ein einziger Moment – um alles anders zu sehen.

so geht’s weiter

Der Overbeck-Pavillon ist donnerstags bis sonntags von 12.00 Uhr – 17.00 Uhr geöffnet. Half Frame läuft dort noch bis zum 27. April 2025. Ab 17. Mai 2025 schließt sich eine zweite Ausstellung an: Paula Kommoss hat die dänische Künstlerin Asta Lynge eingeladen, die als Vertreterin der Ultra Contemporary Art den Pavillon in Szene setzen und die Räumlichkeiten aus wiederum ihrer persönlichen Perspektive sinnlich erlebbar machen wird.

Ab 26. Juli folgt eine dritte Ausstellung, über die Paula Kommoss mir nur verraten hat, dass das Thema „Hören“ eine zentrale Rolle spielen wird. Wann auch immer du wieder einmal oder erstmals vorbeikommen magst: die goldfarben schimmernde Daphne vor dem Eingang wird da sein. Mit ihrer stillen Präsenz erinnert sie daran, dass Veränderung nicht laut sein muss..

Übrigens: auch unser Podcast-Team der Lübeck ZWISCHENTÖNE hat Paula Kommoss kennengelernt. Höre hier in den Beitrag hinein.

Hör mal rein:

Overbeck-Gesellschaft in Lübeck

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Barbara Schwartz

Kennst du das auch? Du kommst an einer Inschrift, einer Skulptur oder einer Gedenktafel vorbei und musst einfach stehenbleiben, um herauszufinden, was es damit auf sich hat? So geht es mir. IMMER! „Man erblickt nur, was man schon weiß und versteht.“ Ich kann Goethe an dieser Stelle nur hundertprozentig zustimmen. Genau deshalb möchte ich nie aufhören, das nur scheinbar Unwichtige aufzuspüren, Zusammenhänge zu erkennen, Neues zu erfahren und Menschen und ihren Geschichten auf die Spur zu kommen. Okay und zu lange Sätze zu schreiben .. . Und neue Sprachen zu lernen natürlich ...

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