SHMF-goes Werftsommer

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von:

Barbara Schwartz

Musiktheorie ganz lebendig

Sinfonie – ein viersätziges Werk für Orchester, deren einzelnen Sätze sich im Tempo, Charakter und in der Form unterscheiden und schließlich doch zu einem harmonischen Ganzen verschmelzen. Daran muss ich beim Besuch für die neuen Zwischenzeilen beim „Werftsommer“ in der Kulturwerft Gollan im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals sofort denken. Sinfonie oder auch Zusammenklang: beim Werftsommer passt einfach alles perfekt zusammen.

Schleswig-Holstein Musik Festival Logo

ALLEGRO – DAS SHMF

Der erste Satz, der das Thema und die Grundtonart vorgibt. Rasch, munter, heiter, fröhlich. All diese Adjektive beschreiben Deutschlands größtes Klassikfestival vortrefflich. Was uns heute selbstverständlich zu sein scheint, war 1985 jedoch fast revolutionär: als die Festival-Idee geboren wurde, ging es darum, Musikerlebnisse direkt zu den Menschen zu bringen und die „heiligen Hallen“ der klassischen Musik zu verlassen. Nahbarer zu werden. Verbunden ist es seither mit großen Namen wie Bernstein, Menuhin, Mutter, Lang Lang, Rostropowitsch und Netrebko, um nur einige wenige Größen zu nennen. Integraler Bestandteil sind nach den Länderschwerpunkten nun die Komponistenretrospektive und Künstlerporträts.

Es gibt Wochenendworkshops mit Kindern und Jugendlichen unter der Leitung renommierter Künstler:innen wie Grubinger, Landgren oder Meyer. Die Konzerte, Performances und Lesungen beleben inzwischen mehr als 100 Spielstätten im Norden, darunter auch im Nachbarland Dänemark. Vor meinem geistigen Auge erscheinen Hüte tragende Damen vor fein gefüllten Picknickkörben bei den Musikfesten auf prachtvollen Gutshöfen in den schönsten Ecken Schleswig-Holsteins. Seit 1986 ist das Schleswig-Holstein Musik Festival erwachsen geworden und hat sich zu einem großartigen, breit gefächerten Kulturangebot entwickelt, das sich traut, neue Wege zu beschreiten und sich Musikstilen zu öffnen, die nicht automatisch das Label „klassisch“ tragen.

aNDANTE – DIE KULTURWERFT GOLLAN

Werftsommer 2021. Die Gollan Kulturwerft: Standort vom Schleswig Holstein Musik Festival.

Der zweite Satz, der in einem mäßig langsamem Tempovorgetragen wird. Gelassen. Ruhig. Attribute, die zur Kulturwerft Gollan und den Menschen passen, die dem historischen Industriekomplex neues Leben einhauchen.

Die Gollanwerft blickt auf eine lange wechselvolle Geschichte zurück. Mich verzaubert sie bei jedem Besuch mit ihrem auch morbiden Charme, der in Lübeck seinesgleichen sucht. Backsteinrote Hallen, Details aus Stahl und Eisen, Rost und zerbrochene Scheiben stehen in lebendigem Kontrast zu modernen Glasfronten und neuester Licht- und Bühnentechnik. Keineswegs ein lost place.

Viel mehr ein Industriedenkmal, das der Unternehmer Thilo Gollan quasi aus dem Schlaf wachgeküsst hat. Die dem Verfall preisgegebenen Hallen entwickelt er seit 2014 behutsam zu einem Ort, an dem Kultur und Begegnung im Fokus stehen. Wo einst Schiffe gebaut und repariert wurden, ist Platz für Konzerte, Lesungen, Messen und Firmenveranstaltungen entstanden. Auch für Abibälle und Gespräche mit Bundeskanzlerkandidat:innen wie 2017 und auch 2021 wieder. Bereits seit einigen Jahren nutzt auch das Schleswig-Holstein Musik Festival die Kulturwerft Gollan als Spielstätte.

SCHERZO – DER SHMF WERFTSOMMER

Die irische Musikerin Wallis Bird am 17.07.2021 auf der SHMF-Bühne

„Ein Tonstück von leichtem und heiterem Charakter, in welchem Humor und scherzhafte Laune mit den Gefühlen ein munteres Spiel treiben.“ Das sagt das musikwissenschaftliche Lexikon.

In diesem Jahr haben das SHMF und die Kulturwerft Gollan mit dem „Werftsommer“ erstmals gemeinsam ein Open-Air Format realisiert und die Stimmung war mehr als heiter. Glückliche Gesichter in strahlendem Sonnenschein. In der relaxten Atmosphäre ergaben sich Gespräche mit den auftretenden Künstler:innen wie von selbst. Das Freigelände ist einfach prädestiniert für ein Musikabenteuer mit kreativen Singer-Songwritern. Bei einer leckeren Bionade im Schatten des Bunkers, eines ehemaligen Werk-Luftschutzgebäudes, schweift der Blick über Bahnwaggons und Lagerhallen in die Ferne zu den Türmen von St. Jakobi und St. Marien.

Die Verortung des Festivals an diesem historischen Ort in Sichtnähe zur Lübecker Altstadt verstärkt den Musikgenuss noch einmal. Ich bin so begeistert, dass Lübeck sich hier nicht von der plakativ-schönen Seite, sondern aus der „so-ist-das-Leben“-Perspektive zeigt. Echt und als „work in progress“.

„Das SHMF hat mit dem Werftsommer ein Format geschaffen, das einfach perfekt in die Werfthallen und auf die Open-Air-Fläche passt: besonders und ein bisschen experimenteller mit alternativen Genres, einem tollen Rahmenprogramm und abwechslungsreichen, regionalen Gastro-Ständen. Genauso ein Festival hat uns hier noch gefehlt. Wir freuen uns auf mehr davon. Es tat einfach so gut, wieder Livemusik zu hören, in der Sonne zu sitzen und einfach diese besondere Festivalstimmung zu genießen.“

Thilo Gollan, Gründer und Betreiber der Kulturwerft
Werftsommer 2021. Die Gollan Kulturwerft: Standort vom Schleswig Holstein Musik Festival.


Allegro Finale – Kulturbummel in stählernen Backsteinhallen

Die Gollan-Hallen 5 und 9 bieten zum Werftsommer die Chance, sich durch liebevoll gefertigte Kunst zu stöbern, Alltagspoesie der Bücherpiraten aus dem Kaugummiautomaten zu entdecken, mit der Handlettering-Künstlerin Babette Büttner zu schnacken oder in einem zum Guckkasten umgebauten Pferdeanhänger unter dem Motto „Screen in a box“ ein flüchtiges audiovisuelles Erlebnis der Künstler Andreas Dorau, Sönke Held und Anne Schulte zu genießen.

Viele der Angebote werden im Rahmen de Initiative Kulturfunke präsentiert. Kulinarische Highlights sind u.a. das selbstgemachte Eis von den Soulmates, frischgemachte Fischbrötchen von fangfrisch, Kaffeespezialitäten der Cycle Roasters und Cupcakes von Bäcktakulär.

Bis zum 2. August finden noch mehrere Konzerte in der Kulturwerft Gollan statt. Solltest du dir nicht entgehen lassen! Hier geht’s zum SHMF-Programm:

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Kennst du Schon diese zwischenzeilen?

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Barbara Schwartz

Kennst du das auch? Du kommst an einer Inschrift, einer Skulptur oder einer Gedenktafel vorbei und musst einfach stehenbleiben, um herauszufinden, was es damit auf sich hat? So geht es mir. IMMER! „Man erblickt nur, was man schon weiß und versteht.“ Ich kann Goethe an dieser Stelle nur hundertprozentig zustimmen. Genau deshalb möchte ich nie aufhören, das nur scheinbar Unwichtige aufzuspüren, Zusammenhänge zu erkennen, Neues zu erfahren und Menschen und ihren Geschichten auf die Spur zu kommen. Okay und zu lange Sätze zu schreiben .. . Und neue Sprachen zu lernen natürlich ...

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