In Lübeck kannst du im Herbst ein unglaublich spannendes Kunstprojekt von Christian Jankowski erleben, das bereits jetzt in der Overbeck-Gesellschaft in einer Videoinstallation vorgestellt wird. In diesem ersten Teil des Projekts kommst du mit dem Konzept in Berührung, indem du fünf Pastor:innen begleitest. Sie bewegen sich in den Videos durch jene Geschäfte und Lokalitäten, die ab 22. Oktober bis 5. November in ihren Kirchenräumen zu Gast sein werden.
Ja du liest richtig:
Geschäfte und ein Club werden für zwei Wochen in Kirchen ihre Kundschaft empfangen.
Hinter dem Projekt steht der in Berlin lebende Aktions- und Konzeptkünstler Christian Jankowski. Vergangenen Freitag wurde Teil I der Heiligen Geschäfte im Garten der Overbeck-Gesellschaft in Lübeck in Anwesenheit des Künstlers eröffnet. Christian Jankowski war in zahlreichen nationalen und internationalen Ausstellungen und Biennalen vertreten. Du kannst seine Werke in der Tate in London, im MOCA in Los Angeles und im Metropolitan Museum of Art anschauen. In einem seiner Interviews sagte er:
Der rote Faden in meinem Werk ist sicherlich, Menschen in eine ihnen unbekannte Situation zu bringen und dann die Reaktionen zu testen.“
Christian Jankowski
Und genau diesem roten Faden folgt Jankowski auch in Lübeck. Sein Lübecker Kunstprojekt Heilige Geschäfte ist durch die Nähe von Kirche, Markt, Kunst und Alltag in früheren Jahrhunderten inspiriert .
Der Glaube und die Kirche waren ja jahrhundertelang ganz selbstverständlicher Bestandteil des Lebens fast aller Menschen. Du musst dir vorstellen, dass Gottesdienste im Mittelalter unendlich lange dauerten. Nur wenige Menschen verstanden die Liturgien, die bis zur Reformation in lateinischer Sprache gehalten wurden. Haustiere liefen umher, Tote wurden bestattet, man traf auf Bekannte. Die Gläubigen kamen, um dem Klang der Orgel zu lauschen, vor den Altären zu beten und um Wandgemälde mit biblischen Geschichten und Gleichnissen mit Ehrfurcht zu bestaunen.
Kunst ist meine Religion
Christian Jankowski
Wie ist das heute? Kirchen sind häufig lediglich Kulturdenkmale. Man bestaunt sie, macht Selfies, liest ein paar Absätze zur Baugeschichte. Aber ist das wirklich so? Womit identifizieren Menschen sich? Was bedeutet ihnen Religion? „Kunst ist meine Religion,“ ist Christian Jankowskis Antwort. Zu hören, wie die Antworten Anderer lauten, ist der Kern des Experiments. Jankowski sagt, er wolle für einen kurzen Zeitraum Menschen aus ihren Bubbles herausführen. „Macht Alle was Eigenes daraus und übt keine Zurückhaltung darüber zu reden.“
Heilige Geschäfte Teil I
Christian Jankowski hat für Teil I seines Projekts vier Pastoren und eine Pastorin eingeladen, sich in den Geschäften und Einrichtungen umzusehen, die sie ab 22. Oktober bei sich zu Gast haben werden. Diese Besuche wurden in Videosequenzen festgehalten, in denen sich die Kirchenvertreter:innen zeitweise stumm durch die Räumlichkeiten bewegen, dann aber auch Gedanken mit den Zuschauenden teilen, Bibeltexte zitieren und Bezüge zum Glauben herstellen.
Pastor Bernd Schwarze bewegt sich beispielsweise durch das Möbelgeschäft bolia, setzt sich auf eine Couch, lässt sich auf ein Bett fallen. Pastorin Akkermann-Dorn geht gemessenen Schrittes an den Regalen eines Landwege-Bio-Supermarktes entlang und nimmt einige Produkte näher in Augenschein. Pastor Robert Pfeifer bewegt sich im Treibsand unter Stroboskop-Lichtern vor dem Logo des integrativen Superkunst Festivals. Pastor Jedeck setzt sich bei JessenLenz mit neuester Technologie auseinander.
Provokation von Christian Jankowski ?
Mag sein. Für mich ist dieses Projekt jedoch eher ein inspirierender Ansatz, meine eigene Haltung zu Kirche und Glauben und zu deren Platz in meinem Leben zu beleuchten.
Bei der Eröffnung hieß es, dass nicht alle Altstadtkirchen begeistert von der Idee gewesen seien, Geschäfte und Dienstleitungen in ihre Räumlichkeiten zu bringen. In der Wichern-Kirche soll ein Bekleidungsgeschäft zu Gast sein. (Noch ist nicht ganz sicher, ob es klappt.) Pastor Gauer spricht in einem Gemeindebrief zum geplanten Vorhaben davon, dass hier nur scheinbar zwei Welten aufeinanderträfen. Dass Einkaufen mit Themen wie z.B. Menschenrechten, Umweltschutz und der Achtung der Menschenwürde, also mit dem äußeren und dem inneren Schein zu tun habe.
Die Videoinstallation in den strahlend weiß gehaltenen Räumen der Overbeck-Gesellschaft lässt breiten Raum, das Gesagte und Gesehene auf sich wirken zu lassen. Und zu diskutieren, wenn sich die Chance dazu ergibt. Ich jedenfalls kam spontan mit zwei mir vollkommen unbekannten Damen über die Videoinhalte und den Begriff „Frevel“ ins Gespräch.
Ich bin schon jetzt unglaublich gespannt auf Teil II: die Heiligen Geschäfte in St. Marien, St. Jakobi, St. Petri, der Evangelisch-reformierten Kirche und der Wichern-Kirchengemeinde, die du ab 22. Oktober 2023 unbedingt kennenlernen solltest. Bis dahin steht dir Teil I in der Overbeck-Gesellschaft offen, die du derzeit ausschließlich über die Bürgergärten erreichst. Den Weg dorthin zeigt dir diese Karte. Geöffnet ist der Kunst-Pavillion täglich (außer Montags) von 11.00 – 17.00 Uhr.